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Zwischen den Stühlen

Winnetou ja? Winnetou nein? Seitdem der Ravensburger Verlag sein Buch zum Film herausbrachte und es sofort wieder vom Markt nahm, tobt die Debatte um Wokeness und Kindheits-Erinnerungen. Ein Gespräch mit der Klett-Kinderbuch-Verlegerin Monika Osberghaus übers Aushalten und Reagieren.

„Es wäre schön und interessant, wenn wir Verlage untereinander ­offener darüber sprechen“, sagt Monika Osberghaus. Foto: Lichtbildnerei Leipzig

Von Anna Hunger↓

„Bild“ stopft mit greller Winnetou-Verteidigung das Sommerloch, Fernsehmoderator Jörg Pilawa hat eine Meinung zum Thema, Claudia Roth, die meisten Social-Media-Nutze­r:in­nen, diverse Schau­spie­le­r:in­nen, Akti­vis­t:in­nen und ungefähr das gesamte Feuilleton, nicht nur in Deutschland.

Angefangen hatte das Ganze mit einem Instagram-Post des Ravensburger-Verlags zum dort erschienenen Winnetou-Buch. Während die meisten Posts des Verlags kaum über 200 Likes hinauskommen, hat der zum „Jungen Häuptling Winnetou“ 4.580 Kommentare, Stand Dienstag.

Der erste Shitstorm: „Unfassbar!!! Als Verlag, insbesondere wenn man Kinder­bücher verlegt, trägt man eine große Verantwortung. Ich glaube nicht dass das euch bewusst ist. Wie kann man bitte 2022 noch so etwas rausbringen?!?“

Der zweite, nachdem der Verlag das Buch vom Markt genommen hatte: „Wie kann man diese kranke Woke Ideologie mitmachen??? Diese Entscheidung ist ein Vertrauensbruch zu ihrem Verlag. Unsere Enkel werden künftig keine Produkte aus ihrem Haus bekommen.“

Dazwischen meldete sich in einem Post der Leipziger Klett-Kinderbuch-Verlag zu Wort: „Wir sind erschrocken über das Ausmaß an Wut und Hass, das hier über den Ravensburger Verlag hereinbricht.“ Und weiter: „Wir befinden uns aktuell in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche. Daher diskutieren alle Kinderbuchredaktionen in seriösen Verlagen derzeit intensiv über Themen wie kulturelle Aneignung, Rassismus und Spuren des Kolonialismus sowie den Umgang damit. Wir tun das gerne, mit Sorgfalt und durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Und wir treffen Entscheidungen. Manchmal fällt das gar nicht so leicht, und man muss vielleicht etwas revidieren. Die ganze Diskussion ist interessant, wenn man sie sachlich führt. Versucht es doch mal!“

Monika Osberghaus ist ­Verlegerin bei Klett-Kinderbuch. Sie findet die Entscheidung des Verlags, das Buch erst rauszubringen und dann einzustampfen, unglücklich, sagte sie kürzlich dem MDR in einem Interview. Und dass es schon vorher hätte auffallen können, dass dieses Thema ein empfindliches ist. Gleichzeitig nahm sie ihre Kolle­g:in­nen in Schutz und machte deutlich, wie schwierig der Umgang mit der derzeitigen Debatte ist.

Frau Osberghaus, wie ging es nach dem Interview weiter?

Ich fand ja, das Gespräch war ausgewogen. Ich konnte in mehreren Facetten darstellen, wie ich die Sache empfinde. Auf der MDR-Webseite sah es aber dann durch die Überschrift des Beitrags so aus, als sei ich eine, die unbedingt will, dass das umstrittene Winnetou-Buch erhalten bleibt. Auf seiner Facebookseite wiederum hat der MDR den einzelnen Satz „Wir brauchen neue starke Geschichten“ zitiert. So, aus dem Zusammenhang des Gesprächs genommen, wurde dies wiederum als Angriff auf den Winnetou verstanden. Ich bin letztlich für beides angegriffen worden, obwohl ich weder für das eine, noch für das andere stehe und dies im Interview auch ausführe.

Gerade kann man es vermutlich nur falsch machen. Kennen Sie Shitstorms aus Ihrer eigenen Verlagsarbeit?

Ja, die kennen wir. Das zeigt aber nur, dass wir uns nicht in eine Schublade stecken lassen. Und dass es nicht klappt, uns bei Klett-Kinderbuch so fest zu positionieren, wie das die Leute gerne hätten.

Auf Facebook schreiben Sie in einem aktuellen Post zum Thema: „Wir bei Klett-Kinderbuch fühlen uns zwischen den Stühlen ganz wohl.“ Warum?

Weil es mit jedem Buch, jedem und jeder Autor:in anders zugeht. Wir haben nicht diese eine feste Haltung zu einem Thema, nach der alle Bücher ausgerichtet werden. Wir haben es ja mit Kunst und Literatur zu tun, da kann man nicht vorab eine Schablone drüberlegen und sagen: Da darf dies nicht drinstehen oder jenes muss rein, es sind lebendige Werke von lebendigen Menschen. Wir diskutieren viel mit unseren Auto­r:in­nen, aber es gibt nicht immer nur schwarz und weiß. Es kommt auf die jeweilige Geschichte selbst an, auf den Tonfall, auf die Bilder, die Figuren. Natürlich haben wir insgesamt eine klare Haltung, wir sind eher ein linksliberaler Verlag. Wichtig sind uns aber möglichst freie, starke Geschichten, die Kinder aus sich heraus zum Nachdenken bringen, etwas in ihnen in Schwingung versetzen. Aus der Eigenschaft als Kunstwerk heraus und nicht, weil eine tolle Botschaft enthalten ist.

Zu welchem Thema haben Sie denn schon einen Shitstorm erlebt?

Wir hatten mal einen ziemlich fiesen. Das Buch war seit acht Jahren auf dem Markt und es ging um ein Bild, auf dem Schweine in Massentierhaltung zu sehen sind. Letztlich nur ein realistisches Bild aus der Landwirtschaft. Zufällig hat eine Schweinebäuerin das Buch für ihre Kinder ausgeliehen, hat dieses Bild entdeckt und war entsetzt. Daraufhin hat sich der Bauernverband auf uns eingeschossen und Leute dazu aufgerufen, uns zu ärgern. Sie haben auch angerufen und gedroht, vorbeizukommen. Das ging über mehrere Tage und hat sich aufgebauscht. Kurz darauf sind Tierschützer mit eingestiegen. Die Bauern waren dagegen, dass man ihre Massentierhaltung zeigt. Die Tierschützer haben beklagt, dass wir diese Form der Tierhaltung nicht deutlich anprangern und dazu schreiben, man solle kein Fleisch essen.

Alle fokussieren sich derzeit auf „Winne­tou – ja oder nein“, dabei ist die Verhandlung über gesellschaftliche Veränderung doch das Spannende. Wie und über was wird denn bei Ihnen im Verlag diskutiert?

Eigentlich unentwegt und über alles. Wir sind ein kleines Team mit sechs Leuten und wir entscheiden im gemeinsamen Gespräch und diskutieren sehr offen. Die Buchideen kommen meist von den Urhebe­r:in­nen. Wir sehen ja dann, ob in dem Projekt irgendein heißes Thema steckt. Wenn uns da irgendein Haken auffällt, reden wir erstmal im Verlag darüber und dann mit den Urhe­be­r:in­nen. Zum Beispiel haben wir eine aufregende und lustige Kindergeschichte für Grundschüler zum Thema Transgender gemacht.

Auch kein einfaches Thema.

Wir wollten unbedingt ein Buch zu diesem Thema machen. Die Autorin ist toll und sehr eigenwillig. Sie widersteht sämtlichen Versuchen, sie irgendwohin zu drängen. Einerseits war es ein herrliches Buch, das erzählt, wie ein Junge ab jetzt gerne als Mädchen gesehen werden möchte und wie er das in der Familie und der Schule durchzieht, eine wunderschöne und auch turbulente Geschichte. Andererseits enthielt sie auch einige Reizpunkte, von denen wir wussten, dass sie unserer Leserschaft ungut auffallen würden. Beispielsweise kam das Wort „Kruzi­türken“ vor. Oder ein Junge wird immerzu als „der dicke Gabriel“ bezeichnet, weil er dick ist. Wir haben die Autorin gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, dies zu ändern, lange Mails gingen dazu hin und her. Aber sie hat sich dagegen entschieden und das haben wir akzeptiert. Auch, weil es uns überzeugt hat, wie sie ihre Entscheidungen begründet hat. Und nun gibt es das Buch eben mit diesen Reizpunkten, und wir verteidigen es gegen Kritik, die auch prompt kam und immer wieder mal kommt. Nur unsere Wunsch-Illustratorin haben wir dadurch verloren, da sie keine Bilder für ein Buch illustrieren wollte, in dem das Wort „Kruzitürken“ steht. Da mussten wir eine neue Illustratorin suchen.

Wie halten Sie es denn mit Winnetou?

Winnetou (Pierre Brice) und sein Freund Old Shatterhand (Lex Barker) 1963. Foto: picture alliance / United Archives

In unserem schon etwas älteren Sachbuch „Alles Familie“ haben wir auch eine Abbildung mit Winnetou und Old Shatterhand. An der Stelle geht es um Freundschaft und Blutsbrüderschaft, sie sind ja in dieser Hinsicht ikonisch. Aber wir haben schon im Frühjahr, also lange vor der aktuellen Winnetou-Aufregung, miteinander gesprochen – auf Wunsch der Auto­rin werden wir die beiden rausnehmen, weil sie für die heutigen Kinder einfach keine allgemeinen Iden­ti­fi­ka­tions­figu­ren sind, nicht so wie für die Eltern­generation. Das wird nun also in der nächsten Auflage geändert. Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Wir ändern immer mal was, wenn wir finden, da hat sich die Welt weiterbewegt.

Müssen die Lesenden, die Gesellschaft, auch mal aushalten, dass nicht jeder Haltung und jeder Meinung entsprochen werden kann und auch mal jemand verletzt wird?

Unbedingt. Kinder sowieso. Kinder müssen dauernd irgendeine Schief­lage aushalten. Wo ihnen was wehtut, wo es nicht so geht, wie sie wollen oder es bräuch­ten. Ich finde, die Gesellschaft bewegt sich, langsam aber stetig. Vor zehn Jahren sind noch Bücher mit klassischen Indianergeschichten entstanden, die jetzt nicht mehr akzeptabel wären. In zehn Jahren werden wieder neue entstanden sein und solche, die noch die alte Haltung transportieren, ersetzen. Bis dahin aber müssen die alten nicht alle verdammt oder umgeschrieben werden. Ich will damit sagen: Diese wachsamen, kritischen Menschen verlangen viel von uns und wollen am liebsten sofort Ergebnisse sehen. Aber es bewegt sich auch viel.

Wie gehen Verlage denn mit heiklen Themen um?

Momentan glaube ich, sind viele im Kinder- und Jugendbuchbereich ein bisschen ratlos. Manche Verlage setzen Sensi­ti­vity Reader ein oder drucken auch Trigger-Warnungen ab. Die sind im Erwachsenenbereich ja auch derzeit ein großes Thema. Da müsste man aber sämtliche Krimis mit seitenlangen Warnungen bestücken. Hm.

Wie würden Sie sich wünschen, dass solche Diskussionen wie über den Umgang mit Winnetou in Zukunft geführt werden?

Es wäre schön und interessant, wenn wir Verlage untereinander offener darü­ber sprechen könnten. Das bleibt aber eher intern. Der Umgang mit Klassikern ist sowieso schwierig, da bin ich froh, das nicht entscheiden zu müssen. Es wäre toll, einmal eine Tagung zu dem Thema zu erleben, bei der die Verlagsleute und natürlich auch die Urhe­be­r:in­nen offen darüber diskutieren, ohne dass es gleich zwei Lager gibt wie jetzt mit Winnetou. Da wir ja alle auch Wettbewerber sind, ist das schwierig. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

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