Zwischen den Rillen: Oden an die Ödnis
■ Eher abstrakt: Die Sterne laden zu leichterem Hören
Letztes Jahr stritt man sich noch darüber, ob eine Band wie Die Sterne es mit ihrem politischen Anspruch vereinbaren könne, bei der Industrie ein Album herauszubringen – mit all den dazugehörigen Konsequenzen. Denen ihre Suppe nicht essen, wie es in einem Song auf dem damaligen Album „Posen“ hieß, und trotzdem im Bett mit Sony und MTV liegen. Ein Streit, den man in Amerika Anfang der Neunziger hatte, als Alternative Rock eines der größten Marktsegmente in der Pop-Industrie wurde: Mit Verspätung hatte er also auch Deutschland und ganz speziell Hamburg und seine politisch bewußte Musikszene eingeholt, entpuppte sich aber letztlich nur als Sturm im Wasserglas.
Dieses Jahr legt man nämlich bei den Sternen noch ein paar Schippen drauf: „Kannst du dich nicht endlich mal verbindlich entscheiden, wie willst du das vermeiden, ich hab' keine Ahnung, wie das sonst gehen soll.“ So heißt es in einem der neuen Songs, und die Sterne als gut funktionierende Band haben sich entschieden. Sie haben sich ins Zentrum begeben, wissen, daß dieses ein unsicherer Ort ist, und versuchen, neben den ganzen Seligs und Rammsteins keinen größeren Imageschaden zu erleiden: Das Sterne-Album heißt nicht gerade benutzerfreundlich „Von allen Gedanken schätze ich noch am meisten die interessanten“, und Sänger und Texter Frank Spilker sagt in der Spex, daß „es das Publikum eben nicht mit einer Band zu tun hat, die reich und berühmt werden will, um auf Rockfestivals zu spielen. Die Idee der Songs oder der Musik soll im Vordergrund stehen.“
Doch die Sterne tun nicht wenig dafür, um reich und berühmt zu werden: „Streiten“ sich im Prinz mit Katja Riemann und Co über den Film „Bandits“, spielen mehr denn je auf großen Bühnen, lassen ihre Konzerte von MTV präsentieren, packen für MTV Lebensmittelkörbe, die zusammen mit einem „Sterne- Kühlschrank“ verlost werden. Und so weiter und so fort, und solange sie sich nicht völlig zum Affen machen: warum auch nicht? Behielt man aber früher noch einigermaßen den Überblick in dem Gewirr aus Mitmachen und individueller Verweigerung, aus politischem Engagement und einem Leben der Boheme, so scheint man dieses Mal eher resigniert und ein wenig larmoyant den harten Tatsachen des (Pop?)Lebens ins Auge zu schauen. So heißt es in dem Song „klebrig-vermutlich“: „Alles hängt ja nur am Geld / wir sind alle nur Maschinen, die dazu da sind zu verdienen / was wir alles so gebrauchen / um halbwegs ordentlich zu laufen.“ Und in „Tourtagebuch“, einer kleinen Ode auf die Ödnis des Tourlebens, finden sich Spilker und Kollegen plötzlich genau auf der Seite des Rock-Business wieder, gegen das sie früher „Lieder und argumentative Gesten“ hatten.
So gibt es dann auch „keine blöden Parolen wie ,Fickt das System‘“ mehr: Spilker ist „ein ganz normaler Tag“ und „ein leeres Blatt“, er ist „abstrakt“ und läßt lieber Abstraktionen wie Vorteil, Liebe oder Zukunft zurückschauen, um dem Autoren- Ich den Stinkefinger zu zeigen.
Sieht man mal vom spacerockigen Titelsong ab, dem Hit und auch wirklich bestem Song auf dem Album, ist es erstaunlich, daß der Rest gar nicht so ein Feger ist, wie man nach dem grandiosen „Posen“ eigentlich erwartet hatte.
Irgendwie scheint der Groove auf der Strecke geblieben zu sein, und auch der Funk knackt nicht mehr so richtig, weil er elegant und flüssig in die Songs integriert wurde. Abgeklärt und lässig wirkt das gesamte Album, es verströmt Behaglichkeit und lädt – trotz des verqueren krautrockig-psychedelischen Instrumentalstücks in der Mitte des Albums – zu leichtem Hören ein.
Auf die große Sause kann man also getrost noch ein wenig warten, und den Teens, die die Sterne in ihr Herz geschlossen haben, düfte es fürs erste auch egal sein, wenn in ihrer Plattensammlung gleich nach den „interessanten Gedanken“ Seligs „Popstar“ auftaucht. Gerrit Bartels
Die Sterne: „Von allen Gedanken schätze ich noch am meisten die interessanten“ (L'Age D'Or/ Epic/Sony)
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