Zwischen den Rillen: Weltschmerz in Grimassensuppe
■ Bertrand Betsch, Françoiz Breut, Julien Baer: Chanson-Debüts aus Frankreich
Seit ein paar Jahren gibt es in Frankreich so etwas wie die Morrissey-Schule des Songwriting: Junge, unverstandene Männer singen mit fragilen Stimmen Ergreifendes aus ihrem Seelenleben. Das ist zunächst einmal erfreulich, denn die Klangfarbe „wimp“ hatte das eher konservative Herren-Chanson bislang nicht auf der Palette. Allerdings zeigte schon das Beispiel Morrissey: Nicht alles, was mit heißem Herzen geschrieben wurde, wird mit glühenden Ohren gehört.
Den Anfang machte Dominique A. Nach drei Alben und unermüdlichen Touren noch durch die hinterste Provinz gilt er heute als Wegbereiter der neuen Empfindsamkeit. Doch Vorsicht: So sanft A.s Stimme auch ist, seine Chansons haben einen eisigen Unterton. Seine CDs verkauften sich bislang zwar nicht bergrutschartig, aber doch mit sehr langem Atem. Ein Erfolg, der seine Plattenfirma Lithium (inzwischen das Label für französische Independent-Musik) ermutigt hat, auch andere Sänger mit ähnlichem Repertoire unter Vertrag zu nehmen.
Jüngstes Beispiel ist ein junger Mann namens Bertrand Betsch und seine erste CD „La soupe à la grimace“. Optisch ist Bertrand Betsch eine Verkörperung des nordisch Kühlen und Blonden, inhaltlich eher ein Fallbeispiel für verschleppte Adoleszenzprobleme. „Ich werf' mich nicht vor die Metro“, beschließt er in einem seiner Chansons, „das würde dich doch nur freuen.“ Trotz solcher Einsichten wie aus dem Tagebuch von Trotzköpfchen gelingt es ihm mit Klampfgitarre, Klavier und einer brausenden Miniorgel, erhobenen Hauptes aus dieser Kitschhymne hervorzugehen.
Monsieur Betsch besitzt besonderes Talent im Erfinden kleiner, düsterer Melodien und Arrangements. Gegen seinen raunenden Vortragsstil jedoch sollte er ebenso dringend etwas unternehmen wie gegen den Hang, es sich in Selbstbezichtigungen à la „Ich bin faul, ich bin lahm, ich bin schlecht“ gemütlich zu machen.
Seine Labelkollegin Françoiz Breut ist in Frankreich keine Unbekannte mehr. Ihre klare, eindringliche Stimme war schon auf den letzten beiden Alben ihres Lebensgefährten Dominique A. zu hören – dort agierte Françoiz Brrr., wie sie sich damals noch nannte, nicht so sehr als Duettpartnerin oder als Backgroundsängerin, sondern eher als gelegentliches Echo des introvertierten Sängers. Diesmal sind die Rollen vertauscht: Dominique A. hat seiner Freudin ein ganzes Album auf den Leib geschrieben und begnügt sich nun selbst mit einem Part in der zweiten Reihe.
Françoiz Breuts Debüt ist mit allen Vor- und Nachteilen von Dominique A.s eigenen Alben ausgestattet: Die zehn Titel sind sensible Momentaufnahmen mit einem profunden Mangel an Begeisterung für das Leben. Wo etwa bei Nico stets noch eine gewisse masochistische Begeisterung für den Erkenntnismoment der Einsamkeit aufstrahlte, referiert Françoiz Breut seltsam erloschen über die Beschwerlichkeit der Existenz. Wohlgemerkt, das ist alles große Kunst und durchaus verdienstvoll, aber im Hollywood der fünfziger Jahre hat man aus solch lebensmüdem Existentialismus schreiend komische Showeinlagen gemacht.
Während Betsch und Breut die Miesepetrigkeit kultivieren, legt das dritte B der neuen Singer-/ Songrwritergeneration ein flotteres Tempo vor: Julien Baer ist immerhin schon 30 und damit für Weltschmerzformeln ein wenig zu alt. Sein Debütalbum changiert zwischen allen möglichen Sixties-Stilen, ohne aktuelle Retro-Trends zu streifen. Da steht ein Bossa Nova à la Nino Ferrer („Le monde s'éroule“) neben dem Späthippieflair der Moody Blues („300 années lumière“) und ein neoklassischer Torchsong („Vie sur Mars“) neben flirrenden Streicherkaskaden („Cette fille s'appelle demain“). Es ist lange her, daß das „Ewigweibliche“ mit ähnlicher Sophistication besungen wurde.
Selbst die Entstehungsgeschichte dieses Albums ist nett: Baer, Sixtiesfan und lange Zeit erfolgloser Pariser Songschreiber, geriet in Los Angeles durch reinen Zufall beim Kauf eines Tonbandgeräts an den Arrangeur Don Peake, der in den Sechzigern unter anderem für Bobby Darin, Sonny and Cher und Jan and Dean gearbeitet hatte und der schließlich für Baers Chansons einige Phil-Spector- und Surf-Veteranen zusammentrommelte. Aufgenommen wurde dann im altbewährten Direktverfahren: zwei Titel pro Tag. Nach Gainsbourg und 007 könnte Baer den vakanten Posten als Playboy Ihres Vertrauens antreten. Fehlt nur eine schickere Frisur. Reinhard Krause
Bertrand Betsch: „La soupe à la grimace“; Françoiz Breut: „Françoiz Breut“ (beide Lithium/Virgin France); Julien Baer: „Julien Baer“ (Polydor France)
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