Zwischen den Rillen: Marxist-leninist Motherfuckers
■ Kunst der situativen Entscheidung: „Mr. Machinery Operator“ von fIREHOSE
Seit einiger Zeit fällt an den meisten Diskussionen rund um den Status quo aktueller Rockmusik auf, wie sehr die Attribute des „Klassischen“ oder der „Reife“ bemüht werden. Daß dieser Zustand eher von progressiven als von konservativen Kritikern begrüßt oder gar verteidigt wird, bleibt nur solange ein Widerspruch, wie man die rockmusikalischen Entwicklungen der letzten Jahre ignoriert.
Ungefähr 1987/88 fand auch hierzulande im Zuge der in der US-Indie-Szene bislang einmaligen Veröffentlichungspolitik des kalifornischen SST-Labels eine Neubewertung von Rock statt: besonders aus ihren Hardcore- Ursprüngen herausgewachsene Bands wie Hüsker Dü, Meat Puppets oder Minuteman dienten fortan als Role Model für eine durch Punk geläuterte Rockmusik, die sich den Fallen vieler ehemaliger Seventies-Rock-Exponate (gegen die man seinerzeit den Punk erfunden hatte) verweigerte. Energie, Spielfreude, Kraft: unverzichtbare Qualitäten guter Rockmusik, aber bitteschön, ohne der dümmlichen Rhetorik individualistisch-verbrämter Ausdrucksscheiße zu huldigen. Daß dabei die meisten Bands die klassische Trio-Besetzung wählten, ist in diesem Sinne bezeichnend für die konsequent betriebene Verdichtung und Erweiterung der grundlegenden „musikalischen Interaktion von einer Gitarre, einem Baß und einem Schlagzeug“ (Joe Carducci, „Rock and the Pop Narcotic“).
Womit wir auch bei fIREHOSE wären. Zwei Drittel der Band, um die es hier eigentlich gehen soll – nämlich Bassist Mike Watt und Schlagzeuger George Hurley –, bildeten zu dieser Zeit zusammen mit dem legendären Sänger und Gitarristen D. Boon die oben erwähnten Minutemen. Minutemen spielten kurze, explodierende, mit Funk- Kürzeln und wahnsinnigen Breaks durchsetzte Songs, die – nomen est omen – selten die Minutengrenze überschritten. Sie waren nicht nur eine der wichtigsten und einflußreichsten Bands der achtziger Jahre, sondern auch eine der wenigen gelungenen Realisierungen politischer Rockmusik. Minutemen waren eine Working-Class-Band aus San Pedro, einem Hafennest bei L.A., und Mike Watt bekennt auch heute noch mit trotzigem Stolz: „I'm a marxist-leninist motherfucker!“
Der Rest ist Geschichte: D. Boon stirbt 1985 bei einem Autounfall, Watt und Hurley hängen mehr oder weniger lethargisch daheim in San Pedro herum, bis... ja, bis etwa ein Jahr später ein blutjunger Fan aus dem 2.000 Meilen entfernten Columbus/ Ohio vor Mike Watts Tür auftaucht mit den Worten: „Hi, I'm Ed from Ohio!“ Mit diesem Ed Crawford als Sänger und Gitarristen entstanden fIREHOSE, deren erste LP Anfang 1987 auf SST erschien und wie alle fünf bisherigen fIREHOSE-LPs die durch Watt und Hurley vorgegebenen Minutemen-Strukturen zu einer Sanftheit und Betonung des Songs beziehungsweise des Singens führten, die der Schroffheit früherer Minutemen-Platten abging. Was bei fIREHOSE jedoch am meisten auffällt und begeistert, sind die zahlreichen Pausen, Stillstände, abrupten Richtungs- und Tempowechsel, also Eigenschaften, die Aspekte des Spiels oder des Spielens hervorheben und sich einigen Vorlieben Mike Watts' verdanken: dem Basketballspiel und seinen vielen schnellen situativen Entscheidungen, Wittgensteins Sprachspielen oder dem rhythmischen Umgang mit Sprache bei Rappern wie Rakim.
Auch an den vierzehn Songs ihrer neuen Platte „Mr. Machinery Operator“ hat sich an diesem Zustand nichts Grundlegendes geändert. J. Mascis von Dinosaur Jr. hat die Platte produziert und sich auf dem überhaupt sehr Dinosaur-kompatiblen Stück „Blaze“ mit einem Baßsolo verewigt. Darüber hinaus gibt es Gastauftritte diverser anderer befreundeter Musiker wie etwa Joe Baiza und Steve Moss von der Universal Congress Of.
Man hört der Platte die 170 Stunden, die diesmal für Aufnahme und Mix benötigt wurden, durchaus im positiven Sinne an: die damit verbundene Sorgfalt hat zu einer selbst bei fIREHOSE seltenen Transparenz und räumlichen Ökonomie geführt, bei einer Schlankheit von Form und Mitteln, die eben das bestätigt und ausbaut, was an fIREHOSE schon immer wichtig gewesen ist: die dem Prinzip Band eingeschriebene permanente Erweiterung einmal erarbeiteter Möglichkeiten und Errungenschaften in Form einer anhaltend produktiven künstlerischen wie sozialen Praxis transparent zu halten.
Doch Vorsicht: es handelt sich hierbei nicht um schnöde Konzept-Musik, die auf dem Papier ruhig mal etwas interessanter klingen darf als in Wirklichkeit. Die Demarkationslinie, die auch in diesem Fall Rockmusik zwischen „Das ist doch nichts Neues“ und „Seht an, was haben wir erreicht“ oszillieren läßt, zeigt sich da, wo die Sache beim Hörer funktioniert oder nicht. Und fIREHOSE funktionieren.
Man darf jedoch an dieser Stelle nicht vergessen, daß, um diese Konsolidierung künstlerischer Arbeitsweisen überhaupt erst zu ermöglichen, in den mittleren Achtzigern in radikaler, harter, innovativer Arbeit eine Menge Scheiße weggehauen werden mußte. Niemand hat dazu einen größeren, verdienstvolleren Beitrag geleistet als Minutemen; und niemand spricht heute davon mit größerer Souveränität als gerade fIREHOSE. Christoph Emrich
fIREHOSE: „Mr. Machinery Operator“ (Sony)
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