Zwischen den Rillen: Lesen, Träumen, Denken
■ Europäisches Songwriting am Rande des Golfstroms: Waterboys, Stephan Eicher
Nachdem auch die Grunge-Typen vom letzten Sommer auf Dauer keine richtig toll traurigen Songs mehr über die Schwere des Lebens schreiben können, werden die Erfahrungen mit der existentiellen Not jetzt wieder in Europa gemacht. Stephan Eicher fühlt sich auf einsamen Alpenwegen wohl, und die Waterboys haben am Ende eines recht aufreibenden HeyHey-MyMy-Rock-'n'- Roll-Daseins sanftmütig Frieden mit ihrem Schöpfer gemacht.
Auf „Dream Harder“ sind der Wunsch, fliegen zu können oder den Himmel samt Hendrix auf die Erde zu holen, und ähnliche Don Quichotterien aus der Vergangenheit nur lockere Imaginationsübungen, bevor Mike Scott mit seinen Waterboys ganz tief in der Traumdeutung versinkt. Dann sieht er sich im „Glastonbury Song“ einsam auf einem Hügel stehen, die Sonne geht mit dem Rest der Welt vor seinen Augen unter, und kurz vor der Apokalypse singt Scott ziemlich angerührt „I just found god“, bevor ein irisch-grüner Vorhang am Ende des Videos fällt.
„The new life starts“ angeblich „here“, so besingt der big chief der Waterboys den eingeschlagenen Weg der Selbstkasteiung. Was er damit eigentlich meint, bleibt ein dunkles Schmankerl der unendlichen Größe seines Glaubens, nur der fruchtbare Augenblick zählt: „Generals, presidents, how do you do, I can make it with or without you.“ Die Musik hält sich bei solchem Bekenntnis-Halleluja bedeckt, nur ein paar lallige Hippie-Effekte bringen die religiösen Stimmungsbilder zum Tanzen. Ab und zu juckt es Scott zwar ein bißchen popmelodisch schnippend in den Fingern, aber je zurückgenommener die Musik, desto durchgeknallter die Lyrik. Ein Country-Swinger erzählt von Hexen, Zauberern und Kreisen im Kornfeld.
Immerhin passen die eremitischen Botschaften zur verschroben angelsächselnden Basis-Folklore, die Mike Scott unter die sonst eher kargen Balladen mischt. Ohne Ziel plätschern die Lieder vorbei, wie ein Märztag unter dem Einfluß des Golfstroms, mild und trocken. Am Ende vergißt man Hendrix und alle anderen herumgeisternden Rock-'n'-Roll-Gestalten und freut sich auf die nächste Platte von Mike Oldfield.
Bei Stephan Eicher hält dagegen die europäisierte Variante des Roadmovie ihren Einzug. Er findet seine Seele auf Reisen, die ihm allerdings ein anderer Autor aufgeschrieben hat: Unentwegt nachdenklich bestätigt Philippe Djian, französischer Poet mit Erzähl-Ich-Erfahrung, in den Texten auf „Carcasonne“, wie es um das Innenleben der Männer bestellt ist, die weinen wollen und doch nicht können. Dann läßt sich der singende Eicher an seiner Statt von Einblicken in die Höhen und Tiefen von Beziehungsgeschichten bewegen („Des Hauts, Des Bas“); dann wird das Bündel geschnürt, die Tür hinter sich zugeschlagen, und der Mensch darf – ein wenig nach dem Schweiß von Konstantin Wecker riechend – in aufgeklärtem Film-Französisch sagen, daß er weder Gewissensbisse noch Bedauern empfindet. Das ist der Blues, den sonst nur die Werbebranche anerkennt. Doch bedingungslos geht Eicher diesen Mythen nicht auf den Leim, er bleibt ihnen auf der Spur. Statt im Studio macht er seine Schallplattenaufnahmen in einem Hotelzimmer und ist dabei mit seinen Musikern niemals so allein wie Elvis auf Graceland, während den nachgereisten Djian schon bei der Ankunft im heartbreak hotel der Wunsch zu sterben überkommt. So muß es wohl immer mit Literaten kommen, die Pop erleben wollen.
Die Welt vor dem Hotelfenster besingt Eicher für den Schriftsteller mit einer kratzenden Stimme, die hier die Schrift oft vergessen macht. Den Reisen durch Lesen, Träumen und Denken scheint sich das Instrumentarium anzuschmiegen: Aus der querbeet eingepflügten Euro-Folklore tauchen Akkordeon, Dudelsack und mittelalterliche Krummhörner in Liedern auf, die für Kraftrock zu melancholisch sind, aber etwas ähnliches auszudrücken versuchen. Oder wie es in „Swallow“ heißt: „And say like I do, I exist, I exist, I exist“. Dieser bergeversetzenden Welt-als-Willen-Formel aus der Schweiz ist nicht so leicht beizukommen. Trotzdem sind die Melodien sehr hübsch, ein bißchen wie nach einem Streit verlegen mit den Füßen in den Boden gescharrt. Aber vielleicht ist das auch nur die Spannung von Wahrheit und Lüge im außermoralischen Liedermacher-Sinne – Chanson: „I could use a lie or two, I'll keep them for me, won't spend them on you“, singt Eicher im Finale von „Whatever“ resümierend, vielleicht weil er weiß, daß er als Sänger selbst nicht an den Worten des Autors vorbeikommt, denn „It's written here, that's the way, it's written here“. Harald Fricke
The Waterboys: „Dream Harder“ (Geffen Records; CD)
Stephan Eicher: „Carcasonne“ (Phonogram; CD)
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