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Zwischen den RillenEin Herz für Trinker

■ Oh, Dämon Alkohol: Nachtgedanken über die Pogues und die Palace Brothers

Was Shane McGowan derzeit wohl macht? Der Gute? Letztes Lebenszeichen von ihm ist ein Foto im Begleitheft zu Nick Caves Zehn-Jahres-Jubiläums-CD- Booklet. Es zeigt einen Mann, der, sonnenbebrillt, bärtig und ganz offenbar in falsche Gesellschaft geraten, mit einer Bierflasche in der Hand aus dem Bild herauspöbelt. Ein Proll unter Dandys. Man kann nicht gerade sagen, er sähe glücklich dabei aus.

Schade eigentlich. Auch für die Pogues. Daß eine Band, die, wenn's wahr ist, ursprünglich einmal „Leck mich am Arsch“ (freie Übersetzung aus dem Gälischen) hieß, ausgerechnet ihren talentiertesten Sohn, den Hauptsongwriter obendrein, aus ihrer Mitte schaßte, hat mir, bei allem Sinn für Pragmatismus und Lebenstüchtigkeit, nie ganz eingeleuchtet. Der Alkohol-Abusus, okay, aber war der nicht zugleich integraler Bestandteil, um nicht zu sagen Konstituens nahezu jedes Pogues-Songs? „If I should fall from grace with god, where no doctor can relief me“? Da wollte doch was auf ein Ende hinaus, dem Selbsterhaltung nicht das Höchste ist.

Aber die Verhältnisse sind eben nicht mehr so. Heute, 15 Jahre nach Punk, stehen die sechs Fake-Iren vor dem etwas undankbaren Problem, die von ihnen selbst gesetzten Realitätsprinzipien mit glanzvollen Vergangenheiten als Freunde des losen Lebens in Einklang zu bringen. Und was machen sie? Gute Jungs, die sie sind, arbeiten sie einfach wacker weiter im Sinne des Bewährten. Spider Stacey, der, nachdem auch der Mann des Übergangs Joe Strummer von Bord gegangen ist, den Platz am Mikrophon eingenommen hat, singt von der Besatzung eines „Drunken Boat“: Korrekt werden die Flaschen zerschmettert, die Gläser geleert, Toasts ausgebracht auf unterwegs verlorengegangene Freunde, vielleicht nicht ganz so jesusmäßig generös wie bei McGowan, vielleicht mit leicht zusammengekniffenen Achselhöhlen, aber doch im Sinne der Forefathers – Männer, Fahrten, Abenteuer.

Daß so Typen in jedem Hafen eine sitzen haben, ist bekannt. Hier hat das zu der etwas dusseligen Hymne auf das „Girl From The Wadi Hammamat“ geführt, wie überhaupt ein von überallher zusammengeschnorrter Multikulti-Zauber (Bandbreite: „spanische“ Gitarren bis hin zu Songs, Typus „Galizische Dorfhochzeit“) das einzige ist, was über die Jahre wirksam Einzug gehalten hat in diesen barocken Rumtreiber-Kosmos.

Natürlich hatte keiner im Ernst mehr anderes erwartet, und dieses trotzige Festhalten am Prinzip der Corporate Identity bringt ja auch Sympathiewerte in stürmischen Zeiten. Die Pogues wollen nichts „dekonstruieren“, kaputtsingen, mit bösen Hintergrund-Sounds verhexen. Uneigentliches Sprechen liegt ihnen so fern wie sonst bloß ganz frühen Rock 'n' Rollern.

Aus all dem läßt sich also kein Lob des Antizyklischen zimmern, kein geschmacklicher Distinktionsgewinn erzielen, auch kein Kneipenknaller zum Song des Monats uminterpretieren – was aber in Ordnung geht, solange Pop noch ein bißchen so sein darf wie ein Gespräch über Bäume. Selbiges vorausgesetzt, können Folk-Schlager wie „Once Upon A Time“ oder „Big City“ zu der absolut breitwandigen, ganz ganz großen Sentimentalität auflaufen, der man alles verzeiht. Mehr sollte von rüstigen, wenngleich leicht verwitterten Mittdreißigern ohnehin nicht erwartet werden, man wird ja selbst nicht jünger.

Und trotzdem stirbt die Tradition des Trinkens am Instrument auch unter den Jüngeren nicht ganz aus. Die Palace Brothers aus Louisville/Kentucky zum Beispiel machen Country-Lieder mit Titeln wie „I Tried To Stay Healthy For You“ – natürlich bloß ein frommer Wunsch angesichts der diversen Privathöllen, die auf dieser LP sehenden Auges durchmessen werden. Wo bei den Pogues der Zug zum Rauschhaften ins Opulente geht, sind hier Meister der Reduktion am Werk. Jesses, diese Lahmarschigkeit! Mit schwerem Zungenschlag werden traurigste Gesänge intoniert und kargste Instrumentierungen aufgeboten. Auch dem Blendwerk der Melodie hat man zu weiten Teilen abgeschworen. „(I Was Drunk At The) Pulpit“ zum Beispiel ist ein Stück, das nur aus einem einzigen Akkord besteht, und einem englischen Musikmagazin ist vorbehaltlos zuzustimmen, wenn es schreibt, Wimps wie Neil Young klängen im Vergleich mit den Palace Brothers wie Eurovisions-Gewinner.

Woran eigentlich genau gelitten wird, ist schon schwerer rauszukriegen. Vermutlich frühkindliche Traumen. „Mama suckled you on her holy breast, Mama's breast ain't holy no more“ – ein weiteres Indiz für die alte Theorie, Rock 'n' Roll sei die Musik der Sünde, Country aber die Musik der Schuld. Hier in einem ganz universellen, psychodramatischen Sinn zu verstehen: Ist das Unglück erst einmal auf der Welt, gibt es das bürgerliche Glück auch schon nicht mehr. Man muß dann trinken oder komische Lieder schreiben. Selbst die LP-Titel geraten seltsam daneben, haben nicht einmal mehr eine korrekte Orthographie: „There Is No-One What Will Take Care Of You“. Was soll man da noch sagen? Thomas Groß

The Pogues: „Waiting For Herb“ (WEA).

The Palace Brothers: „There Is No-One What Will Take Care Of You“ (Big Cat/Rough Trade).

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