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Zwischen den RillenDie Zeit als Kugel

■ Virtuelles Sampling: Blick zurück auf Bernd Alois Zimmermann

Altmeister, von Insidern gelobt, im Konzert nie gespielt, von Avantgardisten verpönt: Bernd Alois Zimmermann.

„Canto di speranza“: eine Kantate für Cello solo und kleines Orchester. 1953 geschrieben, 1957 umgearbeitet. Gegen die Zeit geschrieben, denn in den fünfziger Jahren, da tobten die jungen Symphoniker sich in gewaltigen Clustern aus, da türmten Xenakis, Ligeti, Penderecki Stimmen auf Stimmen zu einer orchesterschreienden Klangfarbenmusik – Vollbeschäftigung für alle Musiker; hingegen die Partei der Seriellen, Boulez und Stockhausen, jung und aggressiv den gewohnten musikalischen Zusammenhang zerhäckselten, bis ihm jeglicher Bezug zur Tonalität ausgetrieben war – abstrakt und von jeglicher Gefühligkeit gereinigt.

Zimmermann, der an das Melos – auch wenn es Schrei und nicht Gesang war – glaubte, wirkte in dieser Umgebung hoffnungslos veraltet. Schrieb Themen, montierte Motive, frönte den alten Tugenden von claré et distincte, von Durchsichtigkeit und Faßlichkeit des Instrumentalsatzes, schrieb Konzerte, die Solisten mit Spielfreude voraussetzten und war somit alten Denkens. Einerseits.

Andererseits brachte er neue Elemente und Verfahren ins Spiel. Jazz zum Beispiel. Nicht als exotisches Kolorit oder Vitalitätsikone, nicht heiter swingend, hitzige Lebensglut symbolisierend – also bitte nicht Gershwin oder Bernstein assoziieren, auch wenn Zimmermanns Trompetenkonzert „Nobody knows the trouble I see“ (sic) betitelt ist –, sondern in das Stück hineingetrieben, abgekocht in der intellektuellen Hölle eines Mitteleuropäers und versehen mit den Ingredienzien solider Kompositionskunst. Was bleibt da übrig vom Jazz- Idiom? Querständigkeit allemal, das Insistieren auf einer für richtig befundenen Formulierung und die Unnachgiebigkeit des vitalen Interesses, die zärtliche Neigung zu kritischen Momenten.

Europäisch ist die Treue zum Thema, zum Motiv, das als Substanz in stetig wechselnden Situationen variiert wird – ein Gesicht unter verschiedener Beleuchtung, bekannt, vertraut, aber, wenn es interessant ist, zugleich auf immer neue Weise fremd. Europäisch ist auch die Spannbreite der Dynamik, das Denken in großen Bögen, die Kraft der Konstruktion, die, wenn sie gelungen ist, keineswegs als starres Korsett dem Stück den Atem raubt.

Amalgamierung ist in mehrerer Hinsicht das Kennzeichen Zimmermannschen Stils. Das bezieht sich nicht allein auf die Adaption musikalischer Idiome oder der Integration außerorchestraler Klangfarben, wie der Nobilitierung des elektrifizierten Kontrabasses im Cellokonzert „en forme de pas de trois“, sondern und hauptsächlich auf die Verwendung von Zitaten.

In den „Monologen“ für zwei Klaviere – das Klaviertrio „Présence“ könnte ebenso als Beispiel dienen – sind Zitate von Bach, von Messiaen, Debussy, Beethoven, Mozart mit einem gregorianischen Choral, einem Boogie- Woogie in Zimmermanns eigene Sprache eingelagert. Er kehrt damit nach außen, was gemeinhin zu verbergen gesucht wird: den Einfluß der Vorfahren auf das eigene Denken.

Die Zusammenstellung mag in der Post-Postmoderne etwas abgeschmackt anmuten, aber als Zimmermann seine „pluralistische“ Kompositionstechnik entwickelte, war der Begriff noch nicht einmal geprägt. Und an der Technik, die dazu gehört, aus den disparaten und schwierig zu beherrschenden Ausgangsmaterialien ein sinnvolles Gebilde herzustellen (von der man seit Max Ernstens Anstrengungen um das nahtlose Fügen von Kupferstichen zu Collagen auch in der bildenden Kunst weiß), mangelte es den meisten eklektischen Kollegen, vom geistesgeschichtlichen Hintergrund einmal ganz abgesehen.

Gestützt wird der zeitübergreifende kulturelle Zusammenhang von Zimmermanns Vorstellung einer Kugelgestalt der Zeit, nach der alle Punkte der Sphäre zum Mittelpunkt der Gegenwart gleich weit entfernt sind. Das scheint zwar jede Durchschnittsplattensammlung, in der aller Erdenraum und alle historische Trennung aufgehoben ist und, bei Alphabetisten, Mozart neben Madonna zu stehen kommt, längst als Gegebenheit abzubilden. Nur ist Zusammenhang durch Verfügbarkeit plus Anwendung allein noch nicht gegeben. In welcher Weise Witz und Einsicht unter der Oberfläche zusammenwirken müssen, um Funken aus altem Zunder schlagen zu können, zeigen die Kammermusikwerke Zimmermanns aufs anschaulichste.

Wer sich also für das Phänomen „Sampling“ nicht nur technisch oder qua Mode interessiert, sollte ruhig mal bei Old Zimmermann reinhören. Frank Hilberg

B.A. Zimmermann: „4 Konzerte“, Interpreten: Schiff, Holliger, Hardenberger (SWFSO, Giehlen, Philips 434114)

„Kammermusik für Klavier und Cello“, Interpreten: Kontarsky, Palm, Gawriloff (DGG 437725)

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