Zwischen den Rillen: Kolossales Alter
■ Die Kurve als kürzeste Verbindung: Neil Young ist wieder da. Auf „Mirrorball“ rockt er mit Pearl Jams Eddie Vedder, bleibt aber zuverlässig unzuverlässig
Es ist zwar schon 16 Jahre her, daß ihn Greil Marcus den „zuverlässigsten und unberechenbarsten Rock 'n' Roller des Jahrzehnts“ nannte, aber es stimmt immer noch. Falls überhaupt auf etwas Verlaß ist, dann auf Neil Youngs Starrsinn. „Mirrorball“, das neueste Album des Endloshippies und Einsiedlers von La Honda, spricht von einer in der Subkultur in letzter Zeit in Ungnade gefallenen Einsicht: Wo nichts mehr wahr und die Welt Scheiße ist, spendet Rock 'n' Roll treue Beständigkeit. Wenn nun der Rock 'n' Roller zur Legende, zur Ikone erhoben ist, wird dann der Rock 'n' Roll zum Vaterunser?
Erhebet den Blick, denn der Herr läßt sein Angesicht leuchten über euch und schenkt euch Frieden. „Mirrorball“ ist mythisch wie die Bibel, und das liegt nicht allein daran, daß Neil Young sich hier metaphorisch vollkommen zurück zu den Wurzeln begibt, zum „Holy war“, den „Heroes/leaving for the great crusade“, dem „Act of love“ und dem „Black rider“ – explicit lyrics? Nein, „Mirrorball“ ist eine weitere, nur noch betörendere Young-Vision von der nie ausgestandenen, aber auch nicht bis zur Unumkehrbarkeit ausgelebten Todesbesessenheit. „I'm an accident / I was driving way too fast“, heißt es in „I'm the ocean“, dem mit Bezug auf den Text am ehesten „rock-klassischen“ und gleichzeitig traurigsten Stück dieses Albums.
Dieses Licht einer schwarzen Sonne gab schon Songs wie „Cortez The Killer“ und „Southern Man“ die Macht der kolossalen Schwermut, und es verlieh den E-Gitarren die anmutige Schwere eines verrückten Pyknikers im Tanzsaal. Doch noch nie wurde die introvertierte, fast verzagte Stimme Neil Youngs so dermaßen kompakt elektrisch und auch bedrohlich von den InstruAusriß: NME
menten überschwemmt wie auf „Mirrorball“, und doch ist gerade noch zu hören, was sie zu sagen hat – den Toten und Lebenden.
„Mirror Ball“ ist ein Projekt von Neil Young und Pearl Jam. Es hört sich an, als ob kein Vater, sondern ein Gott die Lieder schrieb – keine Söhne adaptieren sie, sondern Jünger beten den Liederrosenkranz. Neil Young ist von allen sogenannten „Überlebenden“ ohne Zweifel der mit dem meisten Kontakt zu den nachfolgenden Generationen; er hat in memoriam Johnny Rotten gesungen und Sonic Youth gefördert. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei behinderten Kindern auf einer Farm, und doch: Warum kommt er einem vor wie der einsamste Mensch der Welt?
„People my age / they don't do / the things I do“, resümiert er in „I'm the ocean“. Mit den Soundmoden hat er nach Belieben gespielt; die Firma Geffen feuerte ihn deswegen. „Sometimes I feel like my own name“, „I'm the drug that makes you dream“ im „land of the free/ where the legend will outlive you“, „I'm a cutless supreme in the wrong lane“ – so gibt er die böse und repräsentative Beschreibung seines Arbeitsplatzes und seiner eigenen Theorie über die Idee des Rock, die war, bevor Country, Blues und Rock 'n' Roll waren und die sich im Rock 'n' Roll materialisierte.
Selbst das halb psychedelische, halb apokalyptische, halb asketisch-religiöse Cover des Albums und die „Peace“-Geste, mit der sich Neil Young im New Musical Express ablichten ließ, bezeugen es. „Mirrorball“ kehrt zum ewigen Hippietum reinster Couleur, das Young ja nie ganz verschrottet hat, zurück, koppelt es an die Gegenwart der „homeless heroes“ und die Urmythen. Die kürzeste Verbindung ist die Kurve: „Throw your hatred down / throw your weapons down“ und „broke walls of pain / to walk again“. In „Downtown“ ist es eine launige Erinnerung, in „Scenery“ eine betäubend schöne, besonders melancholische und sehr autoreferentielle, biographische. „Peace and love“, zusammen mit Eddie Vedder geschrieben, richtet sich am explizitesten an all die Toten, ob sie nun Lennon oder Cobain heißen oder noch in den Lebenden verborgen sind: „Peace and love / to young to die“.
Neil Young ist immer noch der sonderbare Liebende mit der Sehergabe. „Lovers parked forever in a dream“ irren durch seine Vision. „Who will hold them / when they tremble from the knife“, sorgt er sich. Sein „I'm not tied to the ground“ („I'm the ocean“) ist das einzige, was man ihm nicht glaubt. Aber ist das wichtig? Daß das Gesetz des „Priest with sandy hair“ und „Religion by his side“ immer gebrochen wird, weiß Young natürlich. Die Orgel und die Gitarren verneigen sich beim Fallen der Engel. Anke Westphal
Neil Young: „Mirrorball“. (Reprise/WEA)
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