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Zwischen den RillenÜberlebensgroß

■ HipHop im Pop-Survivor-Format: Coolio und Altmeister LL Cool J

Nimmt man mal „Ronny's Pop-Show“ zum Maß der Kommerzpop-Dinge, dann war Coolio schon vor einem Jahr ziemlich „heiß“: Auf einem der zu dieser Sendung gehörenden 39-Songs-für-39.90-Sampler wurde sein 94er-Hit „Fantastic Voyage“ am Ende als (einziges) kümmerliches HipHop-Highlight zwischen Technopop-Acts wie MoDo und Pharao gesteckt. Das fiel zwar nicht übermäßig auf – das Terrain aber war abgesteckt, das Ziel der Reise bekannt.

Ein Jahr später toppt Coolio endlich in vollem Effekt die Spitzen der Charts der ganzen Welt. Sein „Gangsta's Paradise“ ist ein Monsterstück, das dem alten Hut Gangster Rap plus G- Funk gleich Popmusik noch mal eine neue Krempe beschert. Daß da wieder die Spanne zwischen unkorrekten Lyrics mit ihrer obligaten Verherrlichung und Überhöhung von Gangstertum und Ghetto-Surviving („mit unbestechlichem Blick für gesellschaftliche Wunden“, nennt das der Waschzettel der Plattenfirma) und wunderschön einlullendem Sound aufgezogen ist – man kennt es von Rappern wie Snoop Doggy Dog oder Warren G zur Genüge.

Aber so smooth, so wenig HipHop, soviel Pop war in diesem Kontext bisher selten gewesen: Coolio singt mehr, als daß er rappt, tausendundeine Geige flankieren das Stück geradezu operettenhaft, und Spannung und Dramatik leben durch einen HipHop-untypischen, simplen Songaufbau, mit Einleitung und eingängigem Refrain (konzipiert übrigens – und auch massiv in diesem Zusammenhang gefeatured – wurde dieser Track für den Soundtrack des Films „Dangerous Minds“, wo Michelle Pfeiffer als engagierte Lehrerin in der Schule eines Außenseiterviertels für Spannungslösung sorgen soll).

Auf dem Album nun recycelt Coolio zwei Soul-Funk-Heuler von Kool & The Gang, „Too Hot“ und „Me and Mrs. Jones“ (bei Coolio „A Thing Goin' On“), im fast alten Gewand – beide wurden im Studio von Kool-&-The-Gang-Mitgliedern eingespielt, und auch sonst wird mehr gecovert und crossovert als per Schnipsel zitiert: Smokey Robinson, Sly Stone oder Herbie Hancock reichen sich mit den üblichen G-Funk-Schleifen die Töne. Klingen tut das alles wie lecker zerlaufene Butter – vor lauter Glitschigkeit rutscht man da schon mal unters Sofa, für Puristen oder Reim- und Style-Fetischisten ist „Gangsta's Paradise“ sicher nicht der richtige Lauschangriff.

Ebenfalls keine Berührungsängste mit dem großen Geschäft hatte in seinem noch jungen Leben LL Cool J. Was Coolio von manchen verbohrt Wohlmeinenden entgegenschlägt – der Vorwurf der zu heftigen Anbiederung an den Mainstream –, mußte Ladies Love Cool James schon 1987, als 19jähriger, über sich ergehen lassen, als sich auf seine HipHop-Schnulze „I Need Love“ auch viele Damen und Herren des Establishments einigen konnten.

Ihm selbst fiel dazu nur die Gegenfrage ein, warum er denn immer über ein und denselben Beat rappen sollte – auch für einen HipHopper seien Liebe und Romantik nicht das Abwegigste. Was ihn nicht davor feite, eine Zeitlang von der HipHop- Bildfläche zu verschwinden.

Mittlerweile ist LL Cool J mit seinen zwanzig-und-ein-paar Jahren ein Elder statesman des HipHop, hinter ihm liegen das überraschende Comeback 1990 und das tolle, leider unterbewertete 93er Album „14 Shots To The Dome“, auf dem er sehr groß und reif die Beats der alten Schule mit melodiösen Popmomenten zusammenführte.

Pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum seines Labels Def Jam outet er sich nun öffentlich als bürgerlicher Mr. Smith im Titel für sein sechstes Album, wo er versucht, die guten, fetten Beats mit soviel Seele wie möglich anzureichern. Der Höhepunkt ist hier das Stück „Hey Lover“, das von den neuen Schleim-Soulern von Boys II Men gesungen wird. So wie in manchen Stücken die bei LL Cool J favorisierten weiblichen souligen Backgroundchöre dominieren, ist „Mr. Smith“ natürlich auch Schmusewolle pur.

Was ein bißchen fehlt – trotz anderer hochkarätiger Gäste wie Keith Murray (ehemals EPMD) oder Mobb Deep –, ist allerdings die Idee einer kreativen Weiterentwicklung, der Versuch eines Anschlusses an den ausgefeilten East-Coast-Sound.

Anders als Coolio jedoch, durch den HipHop- und schwarze Musikgeschichte ziemlich skrupellos als Plattform für den eigenen Entwurf genutzt werden, gibt LL Cool J wie eh in den Liner Notes (und auch in einem simpel „HipHop“ genannten Track) seine credits vor allem an die ehemaligen und aktuellen Größen des HipHop – und vergißt zudem nicht, rührend korrekt-aufklärerisch anzufügen: „It's important that you stay in school, don't use drugs, stay away from guns and violence, register and vote (!), and respect your peers and senior citizens.“

Würde einem G-Funker kaum einfallen, wohl auch Coolio nicht. Als Popmusik müßten beide Alben zugleich blendend funktionieren, nur daß LL CoolJ trotz ehrwürdiger Erdung im HipHop-Universum wohl gerade mal wieder in einer Senke des Lebens verschwindet, während der Platzhirsch Coolio und sein Gangsterparadies größer als das Leben selbst zu sein scheinen. Gerrit Bartels

Coolio: „Gangsta's Paradise“ (EastWest)

LL Cool J: „Mr. Smith“ (Def Jam/Mercury)

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