Zwischen den Rillen: Bing, ploink, dürülüt
■ Per Teamwork durch die Galaxis: Das Clear-Label und Nachbarplaneten
Bevor Sie weiterlesen, lutschen Sie bitte zwei, drei Plättchen Dextro-Energen. Denn es folgt ein 4.500-Zeichen-Angriff auf Ihr Namensgedächtnis. Die Jedi Knights müssen, wie der Booklet-Text ankündigt, das Funk-Gleichgewicht im Universum wiederherstellen. Auf dem Comic-Cover sieht man ein Raumschiffinterieur und zwei Gestalten im Roboter-Outfit. Die zwei stehen für Tom Middleton und Mark Pritchard – die wiederum beide ein Stück britischer Techno-Geschichte verkörpern.
Einst waren sie dick befreundet mit Richard James alias Aphex Twin. Darüber ergeben sich die vielfältigsten Arbeitsmöglichkeiten – weswegen man sie auch unter den Namen Reload, Link, Global Communication kennt. Als Jedi Knights widmen sie sich einer noch größeren Geschichte. In der kleinen historischen Lücke zwischen George Clintons P-Funk und Afrika Bambaatas „Planet Rock“ machen sie es sich gemütlich, sezieren genüßlich die alten Säcke namens Funk und Electro und setzen sie dann wissenschaftlich exakt nach Art der neuen Schule zusammen. Auf daß es kräftig knallt und rattert. (Achten Sie auf Ihre Kompaktanlage!) Dreht man etwas leiser, machen die Tracks bing, ploink und dürülüt – wie ein verlassener Spielautomat in der Nachmittagskneipe.
Der Projektname läßt ahnen, daß sich die zwei Musiker an den staksigen Effekten aus „Krieg der Sterne“ erfreuen – hier schlägt der Vocoder zurück. Die Jedi Knights sind Teil einer breiten Rückbesinnung auf die in den frühen Achtzigern entwickelten Electrobeats und -sounds.
Jenseits des Atlantik, hauptsächlich in Detroit, feuern Labels wie Drecxya, Ersatz Audio und Dataphysix diesen Trend an. Dort nahm im Jahre 1982 Juan Atkins unter dem Namen Cybotron den Blueprint dazu auf, das Stück „Clear“.
Clear ist auch der Name eines Londoner Labels, das von Clair Poulton und Hal Udell betrieben wird. Ihre erste Veröffentlichung war das Stück „May the Funk be with you“ von den Jedi Knights. Seitdem ist Clear zum Lieblingslabel von Menschen geworden, denen beim steten 4/4-Beat die Luft ausging. So wie die Firma ihre Fans durch unregelmäßige Bestellnummern verwirrt, so begeistert sie das Publikum durch einen Variantenreichtum, hinter dem doch eine bestimmte ästhetische Vorstellung sichtbar bleibt. Es spielt bei allem der Electro-Einfluß keine kleine Rolle, wird aber selten mit der Vehemenz durchgelassen, wie wir es bei den Jedi Knights kennengelernt haben. Bei den kurzen, poppigen Stücken des Duos Clatterbox klingt das noch am ehesten an. Bei Dr. Rockit alias Herbert ist das schon schwieriger. Hinter seinen vertrackt-äh-witzigen Rhythmen verbirgt sich ein Klangforscher von hohen Gnaden. Noch nie hat ein Mensch vor ihm Badewannengeräusche so Dancefloor-kompatibel eingesetzt.
Auf der nun endlich erschienenen Label-Compilation ist dieses Stück leider nicht vertreten. Die Platte gibt dennoch einen guten Einstieg in die Clear- Welt. Durch die früher guten Kontakte Clair Poultens zur Sheffielder Warp-Szene konnte man auch Sean Booth und Rob Brown gewinnen, die hier als Gescom auftauchen – sonst nennen sie sich Autechre. Außerdem ist Plaid vertreten, zwei Teile des Trios Black Dog.
Auf „It's all becoming ...“ fällt Plaid insbesondere durch den Remix des Stückes „Juicy Jazz Girls“ des Gregory Fleckner Quintetts auf. Phänomenal ineinandergeschobene Rhythmuspatterns, über denen ruhig ein melodischer Bogen liegt. Das Quintett ist ein Duo aus Coventry. Ihre auf dem Elektroherd gegarte Mischung aus Barjazz, a capella und Easy/Electronic Listening läßt jede Vermutung alt aussehen, Clear stöbere zwar clever, aber ungeniert in der jüngeren Geschichte elektronisch gefertigter Musik. Viel eher ist dieses Label zu einem Fixpunkt geworden, durch den voneinander unabhängig kreisende Kreativ-Planeten aufeinander bezogen werden. Das Label-Design (Typo, Verpackung, Illustration) spielt dabei nicht die unwichtigste Rolle.
Unterschiedliche (historische) Linien mit ähnlich geartetem Vergnügen bearbeiten, das passiert seit längerem schon in Wien – im Umfeld des von Patrick Pulsinger und Erdem Tunakan betriebenen Labels Cheap. Es ist nicht verwunderlich, daß der Kontakt zu Clear schnell so weit gedeiht, daß derzeit eine gemeinsame Tour durch deutsche Clubs stattfindet (am 24. Mai noch in Köln; am 25. Mai in Berlin). Pulsinger, Tunakan und einige ihrer Freunde – alles hochdekorierte Techno-Helden – überraschten kürzlich schon durch Jazz-Sessions.
Fixpunkt: Clear-Logo
The Private Lightning Six setzen da an, kommen aber bei sehr zurückgelehnten TripHop- Tracks oder funky Electrostücken wieder heraus. Erneut fragt man sich: Wodurch wird das alles zusammengehalten? Jenseits der Qualität der Musik, die hier wie bei Clear für sich spricht, hat dies etwas mit einer bestimmten attitude zu tun. In den langen Jahren der Beschäftigung mit Techno haben diese Leute den eigenen Horizont so weit offengehalten, daß die Musikrichtung, in der sie sich bewegen, immer mehr von anderen abbekommt (und immer schwerer wiederzuerkennen ist). Martin Pesch
Jedi Knights: „New School Science“ (Universal Language/ Evolution)
Diverse: „It's all becoming ...“ (Clear)
The Private Lightning Six: „They came down“ (Morbid)
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