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Zwischen den RillenHinter Milchglasscheiben

■ DJ-Culture in HOM-Unterhemden: Mit „Bilingual“ ziehen sich die Pet Shop Boys vom aggressiven Dancefloor zurück

Gibt es hier in der Nähe eine Diskothek? Ich liebe dich. Wie lange muß ich warten? Komm herein, mein Name ist Neil.

Ein paar unbedarfte Songzeilen im Leben der Pet Shop Boys, sie stehen unten rechts im CD- Heft zu „Bilingual“, aus dem Spanischen in schmuckloses Englisch übersetzt. Dazu sollen auch die Urlaubsfotos passen, auf denen Neil Tennant im weißen Baumwollshirt müde in sich hinein lächelt. Am Hemd läßt sich der Distinktionsgewinn des gehobenen Tanzmusikers ablesen: Armani, Gaultier, nun HOM. All die Jahre glorreicher DJ-Culture waren doch zu etwas gut. Bessere Anzüge, bessere Sonnenbrillen, bessere Unterwäsche.

An diese Art Understatement hat man sich bei den Pet Shop Boys gewöhnt. Zwar macht sich inzwischen auch der Spiegel mit dem britischen Duo gemein und berichtet in schwer magazingeübter Jugendsprache von „lustigen Breitseiten“ gegen das Rock-Genre oder daß bei ihnen lässige Frisuren „eine ästhetische, unanfechtbare Lebenshaltung namens Pop“ markieren. Aber wenn man genau hinschaut, sind es die kurzen grauen Haare eines 42jährigen, von denen die Rede ist.

Und welche Mühen die Jungmühle des Dancefloor macht, sagt Tennant in einem Song wie „Electricity“ selbst: „Call it performance, call it art, I call it disaster if the tapes don't start.“ Dazu hört man geflüsterte Raps und klumpige Beats, die von den unendlichen Feinheiten des Drum & Bass etwa ebenso weit entfernt ist wie der Drummer aus Eric Claptons Begleitband.

Was man mit Grooves nicht erfliegen kann, muß man erhinken. Auf „Bilingual“ darf gleich bei drei Stücken eine Vereinigung kunsthandwerklicher Trommlerinnen names SheBoom den Rhythmus nach vorn schleppen. Schottland goes Karibik: Zu „Se a vida é“ klingt das Ganze ein bißchen nach Tanztheater, auf „Discoteca“ und „Single“ erinnert der expressiv rasselnde Schwall ans Edinburgh Music Festival.

Die weiteren Gäste im Studio sind der Moskauer Chor der Akademie, ein Saxophon-Sample von Stan Getz, und über „Up against it“ tupft Ex-Smith Johnny Marr New-Wave-Gitarrengriffe. Man hat sich halt Freunde gemacht mit der Zeit, auch unter emsig dahinbrödelnden Songwritern, von denen Tennant und Lowe früher rein gar nichts wissen wollten.

Andererseits, warum nicht? Schließlich müssen die Pet Shop Boys seit dem letzten Album „Very“ ertragen, daß ihre Version der Homo-Hymne „Go West“ in der Westkurve von FC Arsenal oder Leeds United gesungen wird. Das Kreuz mit Pop- Unterhaltung ist eben, daß in den vergangenen Jahren die Hemmschwelle zwischen Hype und Ekstase enorm abgesenkt worden ist. Oasis, Pulp oder Blur und zuletzt Filme wie „Trainspotting“ sind ja gerade wegen der Auflösung fester Zielgruppen erfolgreich, bei denen man sich nicht mehr hinter Kunstschule und Damien Hirst zurückziehen kann, wenn die Massen anrollen. Und die Pet Shop Boys gehören – Chevignon-Jäckchen hin, Derek-Jarman-Videos her – zu den Architekten des Euro-Techno. Die knappe Formel dafür hieß bei Neil Tennant 1988: „Che Guevara and Debussy dancing to a Disco Beat“.

Auf „Bilingual“ treten solcherart revolutionäre Party-szenarien hinter weniger extreme Stimmungsbilder zurück. Heute ist Neil Tennant in der Art, wie er sich mit Verve dem Trash anschmiegt, fast schon Biolek näher als einem wie Küppersbusch. Plötzlich trennt eine Milchglasscheibe die überdrehte High Energy vom alltäglichen Camp, statt um Shoppingerlebnisse geht es um innere Schönheit, wird lange über Liebe geredet, wo man früher spitz und schwul war. Mal liest der Pet-Shop-Sänger dann in Büchern von Beckett oder Harold Pinter und schaut zwanzigjährigen Jungs am Strand beim Balzen zu – aus weiter Ferne, „wrapped in nostalgia“.

Später sitzt er in Barcelona am PC und schreibt sich die Melancholie vom Herzen, denn „the most important thing is not to end up bitter“. Für diesen Wandel vom hippen Sarkasmus der achtziger Jahre zur heiteren Genügsamkeit im Post-Rave-Alter gibt es Gründe, über die Tennant in „The Survivors“ erstaunlich unprätentiös und ohne den doppelten Boden des Pop plaudert: Es gab zu viele Beerdigungen, auf denen man die letzten Jahre hilflos herumgestanden hat. Das Stück klingt mit Streichern und Gospelstimmen vollgepackt sehr nach Gute-nachtlied, alles andere wäre vermutlich in die eigene Tasche gelogen. Wer will, kann dazu trotzdem tanzen. Vielleicht nicht im Club, aber zu Hause unter Freunden. Harald Fricke

Pet Shop Boys: Bilingual (Parlophone)

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