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Zwischen den RillenBowie auf Helium, Beatles mit Würmern

■ Britpop, die nächste Runde: Neues von Suede und Boo Radleys

Dumm gelaufen, Suede! Den Boden für eine insulare Hysterie haben die Dandys aus Londons Suburbia dereinst fast im Alleingang bereitet, die Früchte ernten zweifelsfrei ihre Nachfahren. Jetzt, wo Oasis und Blur und Pulp und all die anderen Britpop-Markenartikler das Terrain schöner neuer Volksmusik nahezu genreerschöpfend abgegrast haben und „Buy British!“ auf der Insel zum kategorisch-moralischen Imperativ des Rock-'n'-Roll-Wiederaufbaus hochgepitcht wurde, gerade jetzt kommt wieder eine neue CD von Suede.

Suede im großen Hype von 93, das waren Brett Andersons nackter Oberkörper plus grelle Glamrockhymnen plus Geschichten von Katzenpisse und gebackenen Bohnen. Die moderne Working- class-Mär mit bisexuellen Windows, ein Event, das erst in dem Moment rapide an Attraktivität verlor, als Anderson die zweite CD „Dog Man Star“ ganz bierernst zum Drama erklärte: eine Band von gesetzten Herren, die sich ihre Todessehnsüchte auf Platte erfüllen, düstere Doom- Operetten, mit einem 40-Mann- Orchester inszeniert. Naturgemäß kippte die Hälfte der Journaille ordentlich Häme über den entglamourifizierten Anderson, der sich mehr und mehr in seinem kunstgewerblichen Popschneckenhaus für Erwachsene einigelte. Zu früh für die Midlife-crisis, Herr Anderson! Alter Suede, was nun?

Die Antwort gibt „Coming Up“, das dritte Album des Anderson-Clans (nach dem Abgang von Gitarrero Bernard Butler um Ex-Fan Richard Oaks und zuletzt Keyboarder Neil Codling verstärkt) – ein fast perfekter Pop- Backlash aus den Untiefen der Vergessenheit. Anderson, inzwischen 28, besitzt die Kühnheit, Suede noch einmal neu zu erfinden, diesmal aber im voll durchgeknallten Teenie-Sound. Die Single „Trash“ klingt wie früher Bowie auf Helium, aufgenommen in der Waschküche, umgeben von einem Schwarm klebriger Gitarren, und läßt verlauten: „We're litter on the streets / we're the lovers on the streets / just trash, you and me.“ Dem you & me, diesem coolen Stück Dreck — MTV und „Trainspotting“ grüßen freundlich aus dem Off —, stellt Anderson den geilen, großen Glimmer gegenüber: „Filmstar“ und „Starcrazy“, zwei klingende juvenile Aphrodisiaka mit leicht abgewandeltem Pink- Floyd-Gewimmer – „She don't want education / she's got nothing to say“. Der Rest ist eine in diversen „Lalalas“ schnarrende Instant-Kitsch-Popnummer, konzentriert wie Maggi-Tütensuppe. Doch wen interessiert das ernsthaft? Seit ein paar Tagen haben wir die Beichte von Mutter Oasis in der britischen Yellow Press. Die brachte die brutale Mißhandlung der Söhne Noel und Liam Gallagher durch Vater Tommy an die Öffentlichkeit, der das Haus abzubrennen drohte, als die Mutter samt Liam, dem Jüngsten, zur Schwester flüchtete. Berufszyniker sind sich einig: Das soll erst mal einer toppen – medienpräsenzmäßig.

Eine Einladung, die den Boo Radleys in ihrem kleinen, ökologisch korrekten Popbiotop trotz des 95er Tophits „Wake Up, Boo!“ aufreizend fern liegt. Radleys-Chef Martin Carr ist es auch ziemlich egal, ob seine Band noch einmal die Charts von innen sehen wird: „Wir haben's geschafft. Es gibt keinen Druck, einen weiteren Hit zu kriegen. Und wenn doch, sind wir auch nicht ungehalten darüber.“

Abseits der großen Grabenkämpfe läßt sich noch der Song schreiben, dessen Halbwertszeit etwas über den kommenden Wetterumschwung hinausreicht, was die zentrale Botschaft von „C'mon Kids“ ist, dem fünften Radleys-Longplayer seit 1992. Britpop, die eklektische Variante: Sie drehen ihre Gitarren über den Pegel auf, schicken sie durch den Phaser, säuseln beatleske Refrains über Würmer und blaue Ballons, verirren sich in psychedelischer Räucherbuden- Ornamentalik und finden gar plötzlich wieder an die Sonne zurück. Verglichen mit Suede ist das ein lässiges Programm bar jedes Backings von der Scheiße auf der Straße, das man sich erst mal leisten muß. Carr kann das, weil er ein Musiknarr ist und so lange an seinen Songs frickelt, bis sie irgendwie diesen Kick kriegen, daß man nicht umhin kann, sie zu mögen – „Lalalas“ inclusive.

Daß weder die Boo Radleys noch Oasis oder die neuen Insellieblinge Ocean Colour Scene einen sonderlich originellen Beitrag zur Popgeschichte liefern, sollte uns nicht daran hindern, ihre Melodien zum Brotaufstrich zu pfeifen. Guten Morgen, liebe LeserInnen! Frank Sawatzki

Suede: „Coming Up“ (Nude/ Sony)

Boo Radleys: „C'mon Kids“ (Epic/Sony)

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