Zwischen den Rillen: Der große Grenzverkehr
■ Amerikanokaribisches Lateinafrika: Cheikh Lo und Africando
Was macht eigentlich den Weltgehalt der Weltmusik aus? Meist wird das Phänomen auf das Zusammentreffen traditioneller Regionalstile mit „westlicher“ Pop-Moderne verkürzt und als Infizierung unverfälschter Ursprünglichkeit mit den Auswüchsen importierter Kommerzkultur verhandelt. Unter den Tisch fällt dabei das rege Hin und Her zwischen Afrika und den beiden Amerikas und die Einsicht, daß sich der Sündenfall nicht erst mit der Elektrifizierung ereignete.
Beispiel Senegal: Lange bevor sich Europa in Gestalt Peter Gabriels für Youssou N'Dours Stimme erwärmte und dem Küstenstaat am Atlantischen Ozean zuwandte, waren Rumba, Mambo und Son das große Ding in Westafrika. Die Hafenstadt Dakar bildete schon Anfang des Jahrhunderts das Einfallstor, über das sich das kubanische Fieber im gesamten Hinterland ausbreitete: Erst via Nachahmung, dann in Form einer Synthese. N'Dour, der kubanische Rhythmen mit senegalesischen Harmonien zu einem neuen Sound namens Mbalax koppelte, startete seine Karriere einst in einem Laden mit den kennzeichnenden Namen „Miami Club“. Das war lange bevor er aufbrach, um gemeinsam mit Neneh Cherry für wenigstens sieben Sekunden sein Glück in angloamerikanischen Pop-Charts zu suchen.
Das Gruppenprojekt Africando hingegen markiert den konsequenten Weg in die andere Richtung: hin zum lupenreinen Salsa-Sound, der dem Begriff „Afro-Kubanisch“ eine ganz neue Konnotation verleiht – Senegal meets Nu Yorica. Initiiert wurde das Treffen durch den Musiker Boncana Maiga aus Mali und Ibrahim Sylla, einen der einflußreichsten afrikanischen Produzenten. (Er brüstet sich, die größte Sammlung kubanischer Platten Afrikas zu besitzen.) Unter deren Aufsicht probte ein bunter Haufen namhafter senegalesischer Sänger und profilierter lateinamerikanischer Studiomusiker aus New York die Übersetzung von nostalgischem Salsa in die senegalesischen Landessprachen Wolof und Mandingo, und zwar unter satten Bläsersätzen und butterweichen Ayyyyy- Rufen.
„Gomba Salsa“ ist inzwischen das dritte Africando-Werk, produziert nach dem bewährten Rezept, mit dem schon im letzten Jahr die westafrikanischen Salsa- Aficionados wie auch die New Yorker Latin-Hitlisten eingenommen wurden. Und darüber hinaus – siehe das erlesen scheußliche Cover – der Nachweis, daß stilistische Innovation nicht zwangsläufig in Anpassung an angloamerikanische Geschmacksnormen münden muß.
Letzteres könnte man schon eher dem Album „Né La Thiass“ von Cheikh Lo vorwerfen: In seiner professionell-gediegenen Machart zielt es eine Spur zu selbstgewiß auf den ihm schon sicheren Klassikerstatus. Produziert hat Youssou N'Dour – in seinem neuen, von den Meriten des internationalen Erfolgs finanzierten Xippy-Studio in Dakar, in welchem er fortan exporttauglichen Nachwuchs heranziehen will.
Mit dem internationalen Debüt seines Ziehsohns Cheikh Lo (weder verwandt nach verschwägert mit Ismael Lo, dem „Bob Dylan Senegals“) hat er dafür einen erfolgsverdächtigen Prototyp geschaffen. Die kalkulierte Ausgewogenheit zwischen Folk-Wurzeln und kosmopolitischem Rockpop-Potential, die auf „Né La Thiass“ im dezenten Einsatz akustischer und elektrischer Instrumentierung zum Ausdruck kommt, birgt das Modell, mit dem die senegalesische Musikindustrie den Anschluß an andere Exportgüter sucht: Das wirtschaftlich am Boden liegende Land ist größter Erdnußexporteur der Welt und senegalesische Musik Spitzenreiter im allerdings marginalen Weltmusikmarkt.
Glaubt man seiner Rückschau auf jene Zeiten, als die älteren Brüder mit ihren Freundinnen die neuen kubanischen Tänze einstudierten und alle freihändig die spanischen Texte mitsingen konnten, hat auch Cheikh Lo die kubanischen Klänge von Kindesbeinen an inhaliert. Tatsächlich schweift man beim Hören von „Né La Thiass“ aber unweigerlich in andere Regionen der Karibik, stellen sich Erinnerungen an die legendäre (auch senegalesische) Afro-Reggae-Band Toure Kunda ein wie auch an Bob Marley. Cheikh Los Rasta-Look hat allerdings andere Gründe: Als Anhänger des Cheikh Ibra Fall gehören Dreadlocks wie Patchwork- Klamotten zum Erkennungszeichen seiner Bruderschaft, einem Zweig der Mouriden, der zweitgrößten muslimischen Bruderschaft Senegals. Westafrika ist, was gerne vergessen wird, von einer ganz eigenen Form des Islam geprägt, die sich in der brüderschaftlichen Organisation um charismatische geistige Führer, die Marabuts, ausdrückt.
Cheikh Amadou Bamba, der Gründer der Mouriden-Sekte, und seine Marabut-Stellvertreter bekommen auf „Né La Thiass“ entsprechend viele Credits ab, und moderat muslimische Ethik schwappt auch aus allen Songzeilen: Selbstdisziplin, Toleranz und Gottgefallen, der ganze Zirkus, der sich wie ein Echo auf einstige Rastafari-Tugenden liest. Global denken, lokal handeln meint hier das Hochhalten afrikanisch-kommunalistischer Werte und das Mitgefühl mit dem heimatlosen Immigranten.
Womit sich der Kreis wieder schließt, legte Mentor Youssou N'Dour doch mit dem sozialkritischen „Immigrés“, seinem ersten Achtungserfolg im Ausland, das Fundament für seinen Höhenflug: Mbalax mit Message. Cheikh Lo hat in den Fußstapfen Maß genommen, und sie passen. Daniel Bax
Cheikh Lo: „Né La Thiass“ (World Circuit/TIS)
Africando: „Gomba Salsa“ (Stern's Africa)
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