Zwischen den Rillen: The Gottvater Collections
■ Zahnschmerz- und Zahnarzt-Drum 'n' Bass: Grooverider und LTJ Bukem
Ist doch so: Aufregung wie Euphorie um Drum 'n' Bass, von seinen Protagonisten gern „Musik des nächsten Jahrtausends“ genannt, haben sich ebenso gelegt wie die Verwunderung über den Drum 'n' Bass-Marsch durch die Institutionen: Supermärkte, Charts und Fernsehsender. Daß sich zum Beispiel auf Sat.1 die Glücksspirale zu Daft Punks „Revolution 909“ dreht, geht Populisten wie Geheimwissenschaftlern unter den Kunden im Grunde am Arsch vorbei.
Auch auf DJ- und Produzentenseite hat man sich eingerichtet: Man faßt das bisherige Schaffen auf Label-Compilations zusammen und werkelt ausdauernd und perfektionsverliebt an den jeweiligen Soloalben. Während des Wartens darauf geht die Entwicklung und Ausdifferenzierung in den jeweiligen Unterabteilungen recht fix vor sich. So können Drum 'n' Bass-Liebhaber mittlerweile ganz nach Stimmung ihre Sounds auswählen: hart, dunkel, kompliziert, verkünstelt, soft und easybeat. Past, present and future von Drum 'n' Bass befinden sich dabei nach wie vor in England, bei Produzenten wie Grooverider, die all diese Ebenen in einem repräsentierten.
Grooverider nennt man trotz seiner 29 Jahre auch gerne „Gottvater“ oder „Altmeister“, beschäftigte er sich doch schon mit Breakbeats, als England Ende der Achtziger noch im Acid- House-Fieber delirierte. Sein „Prototype Years“ ist folglich eine Compilation mit wenigen neuen und vielen alten Stücken, deren Entstehung sich bis auf die Tage zurückdatieren läßt, da Grooverider in einem Club namens „Rage“ die Drum 'n' Bass- Lawine lostreten half.
Was sich zuerst eher nach einem Dokument anhören mag, Alle Geschmacksrichtungen: GrooveriderFoto: Sony
hat aber seine aktuelle Relevanz: Zum einen werden Grooveriders Kollegen im Booklet nicht müde zu betonen, wie sehr sie den Mann und seinen Einfluß auf ihr Schaffen schätzen („the sun, the source and the centre of british dance music“, sagt Goldie; „so nahe an Chicagos Art Ensemble, wie ein DJ nur kommen kann“, sagt Talkin' Louds Giles Peterson; weitere Superlative im Booklet); zum anderen findet sich neben den drei Stücken von Grooverider zuhauf Material von Leuten, die momentan mit ihren Dark- und Techsteps den aktuellsten und heißesten Strang von Drum 'n' Bass repräsentieren: Ed Rush, Fierce, Dillinja oder Lemon D. – Drum 'n' Bass für die Metaller und hartgesottenen unter uns, für die mit dem Tunnelblick. „To get into the future“ heißt es natürlich auch bei denen, allerdings klingt die Zukunft düster, die Aufbruchsstimmung scheint nur apokalyptisch enden zu können. Ein Paradox, aus dem die Darkstepper ihre Inspiration ziehen – wobei Grooveriders Compilation, so inhomogen sie betreffs Stil und Zeit auch sein mag, einen guten Einblick bietet, wie es zu dieser Entwicklung kam.
In einem ganz anderen Sound- Universum dagegen schwirrt LTJ Bukem. Auch er ist so eine Art Sonne und Zentrum, wird aber nicht mehr über alle Maßen geschätzt, weil er sich arg professionell vermarktet und beispielsweise seine DJ-Auftritte gerne von West oder Camel sponsern läßt.
Ein anderer Grund ist, daß der Drum 'n' Bass-Spund, den er und seine Geistesbrüder auf dem Label Good Looking präsentieren, weich und wohlklingend ist; ein Sound, den auch mein Zahnarzt problemlos in seinem Behandlungszimmer als Lauttapete einsetzt: Zu kitschig, zu verwässernd, zu late-night-jazzy, sagen die Puristen, doch Bukem pellt sich ein Ei drauf und macht unbeirrt weiter. „Logical Progression: Level 2“ ist also wieder schöne und lauschige Drum 'n' Bass-Welt. Präsentiert von Blame – bei seinem Stammlabel Moving Shadow eher der Mann für die Jazzy tunes und seit Bukems klasse Album „Earth“ Neuzugang bei Good Looking –, finden sich auf dieser Compilation Tracks und Sounds, die „keiner Regel gehorchen sollen“.
Allein schon das Cover mit einem in ein dunkles und warmes Licht getauchten Halbmond gibt die Richtung der Musik und die Zeit zum Hören vor: Synthie-Streicher, sanft wabernde Klang- und Ambienteffekte sowie haufenweise Vocalsamples gruppieren sich in den Stücken um den eigentlichen Kern, um die Beats und Bässe. Wobei all diese Elemente gleichberechtigt arrangiert sind und sich durch ein Stück wie „Positive Notions“ ohne Unterlaß ein Saxophon schlängelt: „A crossover between modern jazz and drum 'n' bass“ nennt man das im Headquarter und kündigt an, „in Zukunft noch mehr Livemusiker für die Plattenaufnahmen zu engagieren“.
Gerrit Bartels
Grooverider: „The Prototype Years“ (Prototype/Columbia/ Sony)
Diverse: „Logical Progression Level 2“ (Good Looking Records/Efa)
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen