Zwischen den Rillen: Return of the Son of Rhythmusmaschine
■ Japan-Techno jenseits der Klischees: Hiroshi Morohashi und dol-lop
Das fängt wild an. Wie die Oder in das Oderbruch bei Hohenwutzen stürzt ein Schwall jener Geräusche über einen herein, die zugleich stark nach dem Sound klingen, wie ihn vorsintflutliche Spielautomaten absondern, um Kneipenbesucher zum Einwerfen mehrerer Silbermünzen zu animieren. Das hat schon so manches Stammtischgelaber unsanft unterbrochen, was meist ja ein durchaus positiver Effekt ist.
Hiroshi Morohashi, der junge Japaner, der seine Debüt-CD „Time Note“ so vehement beginnen läßt, wird von solchen Effekten auf die deutsche Gesellschaft nichts ahnen. Vielleicht wollte er aber ein Klischee bedienen, durch das Popmusik aus Japan betrachtet wird: sie habe ganz besonders artifiziell zu klingen. Und wenn es sich dann noch, wie hier, um eine Technoplatte handelt, muß sie auch ganz besonders technoid sein. Nicht anders erwartet man es von Leuten, die einerseits die avancierteste Elektronik erfinden, andererseits ihr Leben durch atavistische Rituale ordnen. Techno im Nippon-Outfit – so schräg wie die Elvis-Impersonator in Tokio. Zumindest einige Takte lang.
Näher besehen wäre das Gegenteil zu erwarten gewesen. Schließlich waren es Japaner, die die bahnbrechenden Rhythmusmaschinen in den Labors des Instrumentenbauers Roland entwickelt haben. Aber wie die Roland-Ingenieure Hiro Nakamura und Atsushi Hoshiai im Interview mit Keys sagten, haben sie nie daran gedacht, „daß jemals Leute zu den Maschinenrhythmen aus den TRs tanzen würden“. Der technologische Vorsprung aus Fernost benötigte dafür Anschlüsse, die im Mittelwesten der USA gelegt wurden, bevor in Japan selbst ein paar Leute nachkamen. Und die mußten die längst international verankerten Transferbedingungen studieren.
Auch wenn es in den Großstädten in Japan eine rege Technoszene gibt und ständig neue Nachrichten über Labelgründungen über den Technoticker gehen, wird die Anerkennung doch an westlichen Maßstäben gemessen. Platten werden in Europa verkauft. Deswegen hat jedes halbwegs bekannte japanische Label eine Dependance in London, und einzelne Produzenten verdingen sich bei diversen europäischen Labels. Auch Morohashi hat einige Maxis bei englischen und niederländischen Firmen veröffentlicht, bevor seine CD von einem französischen Label produziert wurde.
Gern möchte man annehmen, daß die ausgestellte Künstlichkeit und teilweise Überdrehtheit seiner Tracks, die in unseren Ohren japanoid klingt, die internationalen Umwege der Distribution und Rezeption von Musik reflektiert. Ein Fels in der Flut international gleichförmig produzierter elektronischer Musik, Kulturerbe unter Technovorzeichen: Wenn man einem 4/4- oder Breakbeat schon nicht anhören kann, wo er programmiert wurde, zeigt sich ihre Herkunft nur noch als international zugeschriebenes Klischee.
Etwas gemächlicher geht es bei Yoshio Maeda zu. Das Debütalbum seines Projekts dol- lop (Achtung! Konkrete Poesie!) schwimmt gänzlich in dem Ozean, der derzeit 7/8 des Popplaneten bedeckt. Locker trabende Beats, weiche Sounds, ab und an geschmackvoll inszenierte Samples, und selbst Saxophon und Querflöte werden so eingesetzt, daß sich einem beim ahnungslosen Hören nicht die Fußnägel kräuseln. Das ist auf internationalen Geschmack hin eingerichtet, könnte so in Frankfurt, Paris und London produziert sein. Das schmälert allerdings nicht die Qualität dieser Platte, denn sie nimmt die europäisch durchgesetzten Standards selbstbewußt auf und zeigt den Kruder & Dorfmeisters dieser Welt, daß ein cooler Name eben nicht mehr als das ist.
Daß „Cryptic Audio“ so unkryptisch klingt, ist ein cleverer Schachzug des 22jährigen Maeda. Wie die Geschichte dieser Veröffentlichung zeigt. An der Plattenfirma Swim ist Colin Newman beteiligt, der wiederum in den achtziger Jahren als Mitglied von Wire Punk in den Ateliers von Kunsthochschulen einführte. Der für Popverhältnisse betagte Mann wurde vor ein paar Jahren von Techno kalt erwischt und frönt der späten Leidenschaft in Form seines hyperaktiven Labels. Das hat inzwischen einen guten Ruf, der bis nach Fernost schallt. Dort verbanden Maeda und Freunde, die dort das Label MetroJuice betreiben, ihre Website mit der von Swim.
In London freute man sich über diese Form der Anerkennung. Bald wechselten Tapes und Verträge zwischen London und Tokio. Und heraus kam ein japanisches Produkt, wie es derzeit europäischer nicht klingen kann. Ein Jungspund aus Fernost schlägt die westliche Elite auf deren eigenem Terrain. Diese Platte ist das Pearl Harbour des TripHop. Martin Pesch
Hiroshi Morohashi: „Time Note“ (Shield/Rough Trade)
dol-lop: „Cryptic Audio“ (Swim/Strange Ways)
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