Zwischen den Rillen: Betriebsausflug nach Paranoia
■ Freie Fahrt ins Wochenende: Primal Scream und Teenage Fanclub
Im schönen neuen England sind die Verhältnisse nun allesamt fein geregelt. Tony Blair besitzt die Macht, den Mainstream neu zu definieren, und erteilt von höchster Stelle seinen Poplieblingen den Downing-Street-Segen via Party- Einladung – wie zuletzt Noel Gallagher von Oasis. Die haben den Blow-job der geilen, bösen Buben – und die Pole-position im Nationalsport Britpop; die Konkurrenten Blur haben das Nachsehen; Radiohead haben die Narrenkappe auf und dürfen Genesis für die Neunziger spielen; die Spice Girls haben – auch das muß sein – die Queen zum Knutschen gern. Und Primal Scream haben freie Fahrt ins Rock-'n'-Roll-Wochenende. Oder sagen wir: Weltende.
Das ist diese Gegend in der Nähe von Paranoia, wo du einen Mann in einem alten Dodge Challenger triffst, der von einem Verrückten und seiner eigenen Vergangenheit verfolgt wird. Der Mann heißt Kowalski und ist Protagonist eines frühsiebziger Road-Movies von Richard Sarafian, der der neuen Primal-Scream-CD gleich Titel und Konzept mitlieferte: „Vanishing Point“. Will heißen: Diese Platte ist als Soundtrack zu lesen und möchte die bessere Musik zu einem Film machen, den nur ein paar ausgewachsene Spezis kennen, der aber im Trash-Universum von Bobby Gillespie zum bedeutungsreichen Acid-Trip angewachsen ist. Primal Scream, das bleichgesichtige Rock-Outfit mit jingly- jangly C 86er-Vergangenheit, ist mit fünf Mann (neu an Bord: Ex-Stone-Roses-Bassist Gary Mounfield) auf Betriebsausflug gegangen. Zielort: das sagenhafte Land, wo du auf Tuchfühlung sein kannst mit deinen Dämonen. Akribisch hat die Band im Camdener Chalk-Farm-Studio das Szenario für diesen funky Trip angefertigt, der die Heldentaten der Pop-History mit lauter voll korrekten Ingredienzen aus dem globalen Sound- und Zeichenarchiv anreichert. Sitar und Tablas und Synthie-Fiepen schlagen in die rockenden Bassläufe und schnieken Dub-Beats jene kleinen Haken, die so schön in die Magengrube pieken, aber nie weh tun. Kennen wir, kriegen wir ja zur Zeit in jedem amtlichen TripHop-Shop.
Mit „Kowalski“ – der Single mit den rollenden Köpfen, Barry-Newman-Sample und Kate Moss im Video – das Skript kam von „Trainspotting“-Autor Irving Welsh – ist das schon etwas anderes: Beats aus der Gewichtsklasse Chemical Brothers plus komplette Apokalypse- Geräuschkiste. This is the end, my best friend, 97er Modell.
Daß die Platte insgesamt dann doch so ganz und gar nicht an die Nieren geht, liegt daran, daß Bobby Gillespie einfach der Mann für den prachtvollen Popsong bleibt. Wem eine Nummer wie „Star“ noch im fortgeschrittenen Alter gelingt, der kann – Pech gehabt – nur kopfwippende Zuneigung ernten. Begleitet von Dub-Legende Augustus Pablo (Melodica) und den Memphis Horns zimmern Primal Scream den schönsten, schlappsten Pophit des Sommers, dessen nebulöse Postpunk-Lyrik freundlich und sanft im Hall versickert: „The Queen of England, there's no greater anarchist / one man's freedom fighter is another's terrorist... every brother is a star, every sister is a star“. Brüder und Schwestern, auf zum nächsten Spliff!
„Vanishing Point“ kratzt nach den vielen Kurswechseln des Modells Primal Scream die Kurve zu genau den Drummachine-Beats und Loops, die man so braucht, um mit Rockmusik noch ein paar Monate zu überleben („Burning Wheel“, „If They Move, Kill'Em“ – zwei Beispiele für den „Slip Inside This House“-Kick auf dem Stand der Zeit). Doch die Falltüren sind schon wieder geöffnet: Ich bin mir sicher, ich habe mich nicht verhört, auf der „Kowalski“-Maxi im Track „Know Your Rights“ die Joe-Cocker- Werdung des Bobby Gillespie erlebt zu haben. Ein röhrender Hirsch im Blues-Mantel, das ist ein veritabler Einstieg in die Operettenliga des Rock. Und ohne Scheiß, wer will denn wissen, ob Tony Blair, wenn es dann mal soweit ist, seinen lieben Rockstars noch die Rente garantieren kann? Da hilft nur die Flucht nach hinten in der mittelfristigen Finanzplanung. „Sail away“, Bobby!
Wir wissen nicht, was Oasis von Primal Scream halten. Aber von Teenage Fanclub halten sie eine ganze Menge: Als Liam Gallagher im Winter letzten Jahres in die Londoner Air Studios kam, entdeckte er „the best fucking band in the world“. Raymond McGinley vom Teenage Fanclub soll ihn daraufhin nur entgeistert angestarrt haben; Liam verbesserte sich spontan und wies den Kollegen aus Schottland freundlicherweise noch Platz zwei hinter Oasis zu. Die Debüt-LP des Fanclub war eines der Hype-Dinger des Jahres 1990, seitdem befindet sich das Quartett auf dem kontinuierlichen Rückzug in den Rockvorruhestand. Teenage Fanclub unternehmen auf den zwölf Songs ihrer fünften CD „Songs From Nothern Britain“ gar nicht erst den Versuch, musikalisch im Hier und Jetzt mitzumischen. Zwölf Songs, einer hübscher als der andere: mit Harmonien, die jeder Byrds- Platte gut zu Gesicht gestanden hätten („Start Again“), pittoresken Streicherarrangements, feingemeißelten Chorgesängen und einem Streichelzoo voller Gitarren. Aber Obacht, hier wird hinter der Fassade gelitten: Wenn Männer daran zerbrechen, daß sie ihre Seele nicht mehr fühlen, dann muß die Welt schlecht sein.
Oasis werden diese Platte für Tony Blair aufbewahren, falls er mal den Regierungsblues kriegt. Das grämt uns: Baumsterben auf der Cover-Rückseite gesichtet! Frank Sawatzki
Primal Scream: „Vanishing Point“
Teenage Fanclub: „Songs From Northern Britain“
(beide Creation/Sony)
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