Zwischen den Rillen: Nimm zwei
■ Sensationell Vorläufiges und lässig Perfektes von Portishead und Stereolab
„Jetzt, wo ich dich gefunden und hinter diese Augen geschaut habe – wie soll ich da weitermachen?“ fragt Beth Gibbons in einem neuen Lied. Portishead werden sich in den vergangenen zwei Jahren mehrmals gefragt haben, wie sie weitermachen sollen. Ihre Mischung aus schleppenden Beats, kunstvoll editierten Samples und einer Stimme hat die Hoffnung genährt, der Song könne in den Zeiten technologischen Musizierens erneuert werden.
Daß Portishead über zwei Millionen Stück ihres ersten Albums „Dummy“ verkauft haben, hat darüber hinaus gezeigt, daß der Bedarf für diese neue Art von Song recht groß ist. Allerdings schuf die Portishead- Sängerin Beth Gibbons mit ihrer immer zitternden, stets kurz vor dem Zusammenbruch stehenden Stimme und den von ihr gesungenen Geschichten über Verlassenheit und Trübsal ein Identifikationsmodell, dessen Relevanz anscheinend weit größer ist als die Frage: Song oder nie? Es geht bei Portishead weniger um die Konservierung einer Ausdrucksform, sondern um die Frage, wie sich heute individuelle Belange musikalisch überhaupt noch darstellen lassen. „Dummy“ wurde Ende 1994 deshalb auch als Beweis der Möglichkeit emotionaler Authentizität wahrgenommen.
Aber wie der Titel des Debüt-Albums nahelegt, war es nur vorgeschickt, probehalber. Mit ihrer zweiten, „Portishead“ benannten Platte machen Portishead jetzt Ernst. Die Rede vom „schwierigen zweiten Album“ ist hier untertrieben: in den letzten zehn Jahren wurde wohl kaum auf einen Nachfolger so gespannt gewartet wie auf „Portishead“.
Und in der Tat zeigt Beth Gibbons zusammen mit ihrem für die Technik verantwortlichen Partner Geoff Barrow und einer neu formierten Band, daß die Jahre zurückliegende Platte nur ein Vorgeschmack war. Die Erwartung, Portishead würden ihr Modell in einer etwas geschmeidigeren Version relaunchen, wird enttäuscht. Das zweite Album klingt dagegen, als enthalte es die Demobänder für das erste. Und das ist sensationell.
Die zuständige Pressestelle verkündet zwar stolz, daß auf „Portishead“ so gut wie keine Fremd-Samples verwendet, sondern von der Band und einem Streichorchester eingespielte Fragmente der technischen Manipulation unterzogen wurden. Auf diesem, einer luxuriösen Situation entsprungenen Kunstgriff beruht aber nicht die Qualität von „Portishead“. Eher ist es schon der Verzicht auf jede dadurch naheliegende „Echtheit“.
Die Soundscapes sind noch befremdlicher, die Beats bar jeden Volumens, und die eingesetzten herkömmlichen Instrumente klingen, als wollte Barrow ihnen jede Existenzberechtigung absprechen. Und Gibbons' dünne Stimme wird in den meisten Songs verfremdet, ausgelaugt sinkt sie wie Sand in die Ritzen der Arrangements.
Haben sich Portishead mit einem beängstigend unsicher klingenden Album Gewißheit über ihren Ansatz verschafft, perfektionieren Stereolab mit ihrem achten Album ihr Vorgehen. Der Wunsch, die 60er-Idee der leichten Muse mit 90er- Sounddesign zu verbinden, geht auf „Dots and Loops“ erstmals bruchlos in Erfüllung. Da betören die Stimmen von Laetitia Sadier und Mary Hansen, da klimpern die Spinetts, da rollt weich Tim Ganes akustische Gitarre, da perlen die von Sean O'Hagan arrangierten Bläser. Vollkommen hat die Band das von Velvet Underground inspirierte Droning überwunden und ist zu einer eingängigen Synthese von Klangexperiment und Easy Listening gelangt.
Im viertelstündigen Stück „Refractions in the Plastic Pulse“ ist diese Synthese ausformuliert. Trotz der in ihm enthaltenen Brüche fügt sich alles zu einem durchdachten Set netter Ideen.
Daß sie Pop und Experiment anscheinend lässig in eins bringen, haben Stereolab einer nordatlantischen Allianz zu verdanken, die schon lange dabei ist, Song- und Soundkonventionen zu erweitern. Die Engländer gaben deshalb ihre Kompositionen in die Hände des in Chicago arbeitenden (u.a. bei Tortoise spielenden) John McEntire und des in Düsseldorf ansässigen Elektronik-Duos Mouse On Mars. In diesen Kreisen ist es längst Usus, Sampler und Gitarre, Song und Track rotieren zu lassen.
Trotz dieser inzwischen nicht mehr weltbewegenden Verfahren ist „Dotsand Loops“ genauso wie „Portishead“ ein klassisches Songalbum, bei dem das Schreiben eines Liedes sich immer wieder gegen den Kommentar dazu durchsetzt. Das eine kann man nur mit einer Packung Tempo überstehen, das andere stärkt die Abwehrkräfte gegen die kühler werdende Herbstwitterung. Nimm zwei. Martin Pesch
Portishead: „Portishead“ (Motor)
Stereolab: „Dots and Loops“ (Elektra)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen