Zwischen den Rillen: Pathetische Höhen des Down-Seins
■ Selbst- und Weltekel in XXX Large: Fühl es aufs neue mit Belle And Sebastian und Mogwai
Warum sind manche Menschen bloß so entwaffnend optimistisch, lebensbejahend und glücklich? Frage ich mich montags beim Durchblättern jenes Hefts, das früher die Jugendbeilage der Süddeutschen Zeitung war und sich nun freischärlerhaft „das Heft, das montags in der Süddeutschen liegt“ nennt. Wahre Hitlisten von Glücksgründen finden sich da, zusammengestellt von Glückskönnern, Teens und Twens, deren einzige Sorge zu sein scheint, ob „meinem Meerschweinchen Locken drehen“ noch vor „Eisblumen“ in den Charts landet oder doch eher hinter „bunte Papierschmetterlinge falten“. Komisch, den größten Teil meiner Jugend verbrachte ich nicht über Bastelarbeiten, sondern mit dem ebenso beunruhigenden wie berechtigten Gedanken, daß mit mir irgendwas nicht stimmt.
Wenn Stuart Murdoch, Sänger der Glasgower Band Belle And Sebastian, zu einem ähnlich gelagerten Klagegesang anhebt und seine Stimme in die pathetischen Höhen des Down- Seins emporschraubt, dann vergißt er die Eisblumen und Papierschmetterlinge nie. Depressionen – aber die Lage ist durchaus nicht hoffnungslos. Selbst- und Weltekel – mit freundlichen Grüßen. Weil er schon 29 ist, kann er den Nöten 19jähriger einen Namen geben. Und: Wann immer es ihm paßt, führt er sich selbst hemmungslos wie ein Teenie auf. Redet nicht mit der Presse, läßt sich nicht fotografieren. Selbst als der New Musical Express eine Abordnung vorbeischickte, gab Murdoch statt eines Interviews nur Gekicher von sich.
Seine Lyrik ist so sehr Byron, Keats und Shelly, die Musik der sechs Mitstreiter derart handgeschabt und mundgeblasen, daß man von „Retro“ gar nicht mehr sprechen mag. Lieber schon von Folk – mit komplett anderer Zeitrechnung. „Ooh! Get me away from here I'm dying / Play me a song to set me free / Nobody writes them like they used to / So it may as well be me.“ Kokett, kokett. Kapriziös und kapriziöser. Gefühle in XXX Large, Zerwirrnis, Seelenfinsternis. Aber bitte mit Cello und, wenn's geht, Trompeten.
Die Lieder sind bevölkert von Menschen, die meist sinnlos verliebt und auf eine für sie ungesunde Weise romantisch sind. Wer da die Smiths nicht trapsen hört, hat die Smiths vielleicht nie gehört, was auf einen Großteil es Publikums gewiß zutrifft. Der andere, der Kleinteil, liebt neben den Smiths auch Nick Drake und die Go Betweens, hat in letzter Zeit also nichts zu lachen gehabt, weil mit Drum 'n' Bass nie so recht warmgeworden. Streckenweise, bilde ich mir ein, handelt diese Platte auch von Angst, von der Angst des Empfindsamen vorm Hinfälligwerden durch neue Technologien. Die Angst ist unbegründet, die Platte fast unschlagbar. Sie betört, weil sie keine Angst vor ihrer eigenen Schönheit hat und weil sie weiß, daß Schönheit – einmal nicht bildungsbürgerlich verstanden – bloß der Anfang des Schreckens ist. Jeder Schritt weiter würde den Empfindsamen zerfetzen.
Sympathisch auch die Haltung, mit der so schwere Themen dann an den Mann und an die Frau gebracht werden. Belle und Sebastian sind Sonderlinge, die auf einer Sonderbehandlung bestehen, das aber schließt „Seeing other people“ (guter Liedname!), Lieben und Sichkümmern keineswegs aus. Von der Tatsache, daß die anderen ihn seltsam finden, schließt Stuart Murdoch nicht, wie so viele seltsame Sänger vor ihm, darauf, daß die anderen in Wirklichkeit seltsam sind. Strangeways, here we come... und bessere Titelzeilen als „The boy done wrong again“ hatten wirklich nur die Smiths.
Ebenfalls aus Glasgow und ebenfalls eher auf der dunklen Straßenseite zu finden: Mogwai. Fast scheint es, als ob Schottland, kaum, daß es sein eigenes Regionalparlament durchgebracht hat, auch popmusikalisch wieder mehr Mitsprache will. „Mogwai Young Team“ klingt mal nach Hintergrundmusik für leichte Dehnübungen (keine ganze Skigymnastik), dann meint man wieder Handwerker im Haus zu haben, die einen frühmorgens wecken, indem sie einen Ton auf ihren Schleifmaschinen extralang aushalten. Aber zum Glück sind wir in Schottland, da schwärmen die Handwerker in ihrer Freizeit für Postrock. Sie haben alles von Sonic Youth und Slint gehört und daraus die richtigen Schlüsse gezogen. Gesang canceln, Dämmerung stehen lassen.
Alles passiert in Wellen. Die Gitarre spielt ihr kleines Lied und verschwindet wieder. Niemand singt. Einmal spricht eine Frauenstimme etwas, es ist der Versuch einer live zugeschalteten Rockkritik, die nach und nach von Feedbacks zugeschüttet wird. Die Stimme sagt: „If someone said that Mogwai are the stars I would not object. If the stars had a sound, it would sound like this...“ Wie gesagt, es ist ein Versuch einer Kritik. Aber was soll man auch zu vier Schotten mit Durchschnittsalter 20 sagen, die jeden Sound kennen, sogar den der Sterne, und die zu allem, was schön schallt, einen noch schöneren Nachhall erfinden? Das letzte Stück heißt „Mogwai fear Satan“. In Wirklichkeit ist es umgekehrt. Satan schafft es nie bis in die „Lebenswert“-Liste, Mogwai schon. Oliver Fuchs
Belle And Sebastian: „If you're feeling sinister“ (Virgin)
Mogwai: „Mogwai Young Team“ (Chemikal Underground)
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