Zwischen den Rillen: Digitale Nachbarschaft
■ Drumbassen mit Metalheadz: Die Musik der Zukunft entdeckt die Vergangenheit
Vor einem Jahr war an dieser Stelle beim Überblick einiger Drum 'n' Bass-Neuerscheinungen die Beobachtung gemacht worden, daß es darker wohl nicht mehr gehe. Das Dilemma deutete sich an, daß das Genre sich durch diese Entwicklung zwar die Inkompatibilität zum Mainstream und damit den Zuspruch einer kleinen enthusiastischen Hörerschaft sichern könnte. Aber andererseits musikalisch ein Endpunkt, ein Tiefpunkt absehbar sei, irgendwo mitten in der Dunkelheit eines Tunnels, wo weder Ein- noch Ausgang die Richtung weisen könnten.
Jetzt sieht das alles schon wieder ganz anders aus. Erschien D'n'B bislang ein von Medieneuphorie und tatsächlicher Innovation gespeister Jungbrunnen aktueller Musik, in dem sich einige hyperaktive Produzenten darin gefielen, bei gleichzeitig bekundeter Solidarität sich die Butter vom Brot zu nehmen, kam es 1997 zur Beruhigung der Szene. Die bekanntesten Labels legten brav ihre Compilations vor, die selbstverständlich für alle, die die haarklein differenzierte Entwicklung anhand des steten 12-Inch- Outputs nicht verfolgen können/wollen, als Offenbarungen erscheinen mußten, als nachgereichte Zusammenfassungen eines lange nicht mehr erlebten Schubs, was Produktionstechnik und die durch sie hervorgebrachte Energie angeht.
Da lagen sie dann, die gesammelten Werke der Firmen No- U-Turn, Prototype, V-Recordings und Ram – aber bei aller Begeisterung mußte man doch sagen, daß die Qualität in einer Breite einen Standard erreicht hatte, die einzelne Positionen nur schwer vermitteln ließ.
Die versuchten Einzelgänger wie Photek und Boymerang mit ihren Alben abzustecken, konnten aber die in sie gesetzten Erwartungen nur teilweise erfüllen. Den strategisch cleversten Zug machte Altmeister Roni Size, der mit seinem Projekt Reprazent nicht nur die Promo- Maschine einer großen Plattenfirma für den Crossover zum Cocktails gewohnten Publikum benutzte. Gleichzeitig schaffte er mit dem Album „New Forms“ und dem Einsatz von Vocals und einer bandorientierten Produktion auch den Anschluß von D'n'B an andere Dance-Genres wie Acid Jazz.
Das ist der Hintergrund, vor dem die Veröffentlichung der beiden Compilations aus dem Hause Metalheadz gesehen werden muß. Denn ohne Kenntnis der in den letzten zwölf Monaten vorgegangenen Entwicklung muß man sich an manchen Stellen auf diesen Platten darüber wundern, daß da, wo D'n'B draufsteht, etwas drin ist, was mittlerweile ganz anders klingt.
„Platinum Breakz II“, Nachfolger der 96er-Sammlung, ist eine Compilation klassischer Manier, das heißt, sie präsentiert im Lauf der letzten Monate als 12 Inch erschienene Tracks. Sie dient primär einem CD- orientierten Publikum, die vier unveröffentlichten der 17 Stücke werden allerdings auch Vinyl-Junkies Magenknurren bereiten. Die Öffnung von D'n'B wird insbesondere an Hidden Agendas „Pressin' On“ deutlich, mit seinem einen Salon-Groove präsentierenden Anfangssample. Auch Sci-Clones „Melt“ oder das Sade-Zitat in „Promise“ von Dillinja geben Hinweise, daß es etwas lockerer zugehen kann im D'n'B-Gebiet, wo bislang die Zukunftsorientierung ein Wert an sich war.
Dennoch enthält auch diese Doppel-CD das für Goldies Label Metalheadz üblich harte Brot, insbesondere die beiden Remixe von J-Majiks „Your Sound“ und von Source Directs „Dark Metal“ transportieren mit den auf der Stelle tretenden Beats und den ausweglosen Soundscapes millennium angst pur.
An die Kenner richtet sich die parallel erscheinende und dem kleinen Vertrieb Groove Attack in die Hand gegebene „Limited Edition Box“. Daß fünf Vinylplatten mit unveröffentlichten Tracks in einer Metallbox und weltweit 10.000er Auflage verbreitet werden, sagt: Hier wird die Botschaft weitergereicht. Und tatsächlich enthält dieses Paket wegweisende Stücke. Bisher gültige Grenzen sind als Beschränkung wahrgenommen worden, und als sei es kein Problem, räumen Goldies Männer sie mir nichts, dir nichts beiseite.
Digitals Remix seines (auf „Platinum Breakz II“ enthaltenen) „To shape the Future“ macht mit angezerrter Baßlinie noch mal den Underground- Charakter dieses Unternehmens stark. Wichtiger ist aber die Freiheit in der Wahl der Mittel. Als seien die Produzenten durch ein Wundermittel neben sich selbst gestellt worden und dürften jetzt endlich einmal sagen, was ihnen an D'n'B nicht mehr gefällt.
Ergebnis ist eine Besinnung auf aktuelle Nachbarsounds (TripHop, z.B. bei Digital), aber insbesondere die Reaktivierung historischer Vorläufer. Ob Ed Rush in seinem „Hip Hop“ dem Tracktitel gerecht wird oder Photek mit „Neptune“ sein Samuraischwert zu Funk umschmilzt. Insbesondere aber die Electro-Anleihen von Dollis Hill (alias Dego von 4 Hero) öffnen wie selbstverständlich eine Tür, an der Drum 'n' Bass jahrelang vorbeigerannt ist. Vorsprung durch Geschichtsunterricht. Martin Pesch
Diverse: „Platinum Breakz II“ (Metalheadz/Motor). Diverse: „Limited Edition Box“ (Metalheadz/Groove Attack).
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