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Zwischen den RillenVirtuelle Alhambra

■ Der Orient als Sentiment: Fusion-Jazz mit Rabih Abou-Khalil, Rahala, Chris Karrer

„Ich fühle wohl, wie es zuweilen der Phantasie wohltun kann, ganz fremdartige Motive wie Bilder aufzusuchen, um sich wieder zu beleben und Fremdartiges belebend zu erschaffen“, schrieb Charlotte Schiller, nachdem sie einem Vortrag Goethes gelauscht hatte. Im Jahre 1816 war das, noch bevor er seinen „West-östlichen Divan“ vom Stapel ließ.

Das deutsche Verhältnis zur arabisch-islamischen Welt war schon immer ein besonderes. Von Karl May bis zur deutschen Islamwissenschaft alter Schule herrschte eine schwärmerische Bewunderung für den Orient vor. Dieser „reine Osten“ war freilich schon bei Goethe nicht identisch mit dem real existierenden Osten, vielmehr der verklärte „Orient Imaginaire“ einer vorgestellten Vergangenheit – der Orient als Traumwelt.

Ausdruck einer romantischen Empfindsamkeit, springt an dieser spezifischen Orientsehnsucht gerade ihre demonstrative Unzeitgemäßheit ins Auge, ihre Losgelöstheit von Tagespolitik und Moden der Gegenwart. Und doch war und ist sie stets wieder typisch für ihre Zeit. Ein sehr bürgerliches Sentiment jedenfalls.

Vielleicht läßt sich mit dieser spezifischen Empfindsamkeit auch, zum Teil wenigstens, die große Popularität von Rabih Abou-Khalil erklären, inzwischen einer der erfolgreichsten deutschen Jazzmusiker überhaupt. Geboren und aufgewachsen in Beirut, im kosmopolitischen Klima der sechziger und siebziger Jahre, lernte er schon von klein auf das Spiel der Oud, der arabischen Kurzhalslaute.

1978 verließ Abou-Khalil den Libanon, den realen Orient, wegen des Bürgerkriegs. An der Musikhochschule in München studierte er Querflöte und paukte die europäische Klassik. Doch nach dem Studium griff er wieder zurück auf die Oud. Heimweh oder kluge Selbstbeschränkung? Was auch immer die Motive waren – mit der arabischen Kurzhalslaute reüssierte er bald schon als gefeierter Orientjazzer. Preise purzelten für seine letzten beiden CDs, und die Musikpresse übertraf sich mit Lobeshymnen.

„Odd Times“, seine neueste Veröffentlichung, ist nun das erste Live-Album des vielseitigen Lautisten. Sechs der acht Stücke sind neu, nur zwei gehören zum bewährten Repertoire. In Form, Rhythmus und Tonart lehnen sich Abou-Khalils Kompositionen an die Regeln klassischer arabischer Musik an. Doch Abou-Khalil lockert sie mit westlichen Formen der Improvisation auf, mit flottem Tempo und rhythmischer Raffinesse. Gern überrascht er mit farbigen Kontrasten, und die sporadischen Einsätze der Mundharmonika Howard Levys verleihen dem spröden Oud-Spiel zuweilen sogar ein bißchen Bluegrass-Feeling. „Odd Times“ ist ein spannendes Potpourri aus Oud, Harmonica und Tuba, das von Schlagzeuger Mark Nauseef und dem Percussionisten Nabil Khaiat percussiv unter Druck gesetzt wird. Nicht alles ist dabei so erhaben und ernst gemeint, wie es die schmuckvoll glitzernde CD-Hülle suggeriert. Immer schwingt, bei aller Virtuosität, unprätentiöse Leichtigkeit und verspielter Humor mit. Abou-Khalils Stücke tragen unter anderem so seltsame Titel wie „The Happy Sheikh“, „Elephant Hips“ und „Q-Tips“. Und manchmal klingen sie auch so.

Bisher stand Rabih Abou- Khalil in Sachen Orientjazz fast allein auf weiter Flur, eine Ausnahmefigur. Doch mit Rahala hat er jetzt ernsthafte Konkurrenz bekommen. Die ägyptisch- deutsche Fusion-Formation um den Kanun-Spieler Hosam Shaker aus Kairo und den Keyboarder Michael Wehmeyer, Ex-Embryo aus Berlin, hat mit „Enshallah“ gerade ein hübsches Debüt hingelegt. Mit von der Pyramidenpartie sind der einstige Embryo-Weggefährte Roman Bunka sowie der Tabla- Star Sayed Balaha aus Kairo, der eine große Nummer in der orientalischen Tanzszene ist. Außerdem gastieren gleich mehrere Größen der ägyptischen und nubischen Musik auf „Enshallah“. Eine akustische Nilfahrt erster Klasse, bei der einen der Groove nicht selten in rauschhafte Zustände schraubt – Rahala bringen die Vierteltöne zum Tanzen. Fragt sich nur: Warum haben diese Fusion-Platten oft so einfallslose Namen?

Bemüht originell und wortwitzig gibt sich dagegen Chris Karrer, der „deutsche Brian Jones“ (Platteninfo). „Sufisticated“ heißt das neue Werk des Multiinstrumentalisten, der vor dreißig Jahren zu den Gründungsmitgliedern der verschrobenen Krautrock-Combo Amon Düül gehörte. Als die Hippie-Kapelle den Weg alles Irdischen ging, pilgerte Karrer zu ägyptischen und türkischen Musikmeistern.

Inzwischen zupft er ein halbes Dutzend orientalischer Saiteninstrumente, zuallererst aber natürlich schrubbt er die Oud. „Sufisticated“ verbindet spanische und nordafrikanische Klänge zu einem spacigen Orienttrip auf der west-östlichen Luftmatratze, einem Basarbummel in einer virtuellen Alhambra. Ein Film für sich, der zuweilen in etwas klischeehaften Bildern schwelgt, sich aber letztlich jeder Wertung entzieht. Aber warum nicht? „Die Welt der Musik ist eine Karawanserei, für jeden ist ein Eingang offen“, lautet, passend dazu, schließlich ein altes orientalisches Sprichwort, das ich gerade erfunden habe. Daniel Abou-Bax

Rabih Abou-Khalil: „Odd Times“ (Enja)

Rahala: „Enshallah“ (United One)

Chris Karrer: „Sufisticated“

(Think Progressive/EFA)

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