Zwischen den Rillen: Repräsentanz und Verzerrung
■ Verarbeitungsformen von Tonfragmenten: Terre Thaemlitz und Robin Rimbaud
Terre Thaemlitz macht keine Witze, und es ist kein Vergnügen, sich seine Platten anzuhören. Seiner neuen Veröffentlichung ist sogar die Warnung mitgegeben, daß man insbesondere beim Hören mit Kopfhörern sehr vorsichtig sein solle. Die Aufnahmen enthalten extreme Frequenzsprünge und abrupte Veränderungen der Lautstärke. Und in der Tat fühlt man sich während dieser CD sehr unbequem, weil man ständig meint, man müsse die vorgegebenen Wechsel an der eigenen Anlage gegenregeln.
Minutenlang ist fast nichts zu hören, dann bricht ohne Vorwarnung ein Sturm aus Rauschen und krachiger Verzerrung herein, unangenehm und laut wie nur was. Wer also ungeduldig am Lautstärkeregler dreht, wird wenig Freude haben. Allerdings geht es Thaemlitz nicht darum, die Hörer auf die Folter zu spannen. Seine Soundproduktionen folgen einer Auseinandersetzung mit der Art und Weise, in der Klang und Musik produziert und präsentiert werden. Sie sind, wie der Titel seiner neuen CD andeutet, nicht Mittel zum Zweck, sondern vor allem ein Mittel, um bestimmte Zwecke zu verdeutlichen.
Akustische Polaroids: Rimbaud alias Scanner Abb.: Cover
Seine im letzten Jahr erschienene CD „Die Roboter Rubato“ widmete sich zum Beispiel dem ideologischen Gehalt der Musik von Kraftwerk. An einem präparierten Piano spielte Thaemlitz bekannte Stücke der deutschen Elektronik-Pioniere so nach, daß ihre mathematisch-klare Struktur in der musikalischen Form des Rubato aufgelöst wurde. Thaemlitz' Ansatz zielte auf das Bewußtmachen der bei Kraftwerk repräsentierten Verbindung zwischen Mensch und Maschine als Männerphantasie.
„Means From An End“ hat einen allgemeineren Hintergrund, den Thaemlitz ausführlich im Booklet darlegt – wie stets bei seinen CDs. Musik, so heißt es dort, sei durch Bezeichnungen wie „universelle Sprache“ zu einem Vehikel bürgerlicher Kultur geworden, die wiederum auf der Ausschließung gesellschaftlicher Widersprüche basiere. Diesen antiquiert scheinenden antibourgeoisen Grundgedanken führt Thaemlitz in das Computerzeitalter fort. Die Digitalisierung von Informationsströmen und die mit ihr einhergehende Rede von endlich allgemein verfügbarer Information verschleiere die tatsächlich vorgehende Begrenzung von Wissen und damit von Macht auf den – global betrachtet – kleinen Kreis westlicher Eliten. Musik sieht Thaemlitz als Sinnbild dieser falschen Harmonisierung, und er benutzt den Computer, um sie zu zerstören.
Thaemlitz verwendet musikalisches Material, dem bestimmte Funktionen zugeordnet sind: Jazz als musikalisch widerständige Form, die von einer weißen Mittelschicht goutiert wird; der Song „I Love You Just The Way You Are“ von Billy Joel als Inbegriff verkleisternder Nostalgie. In einem komplizierten technischen Verfahren behandelt er dieses Material, filtert Frequenzen heraus, betont dadurch andere; er läßt die musikalische Quelle ganz versiegen, um sie dann wieder bis zur Schmerzgrenze verzerrt hervorzuheben. Verzerrungen, so schreibt er, seien als Bedingungen der Repräsentation aufzufassen und nicht als unerwünschte Abweichung.
Auch Robin Rimbaud alias Scanner benutzt Fremdmaterial und präsentiert seine Manipulationen. Bekannt geworden ist er durch seine Verarbeitungen von in Mobilfunknetzen abgehörten Gesprächen. Seine neue Platte ist eine Hommage an Derek Jarman, den englischen Regisseur, mit dem Rimbaud gut befreundet war und für dessen Film „The Last Of England“ er die Musik geschrieben hat.
Rimbaud hat die Orte besucht, an denen sich Jarman oft aufhielt, und dort, wie er es nennt, „akustische Polaroids“ aufgenommen. Man hört das Meer an der englischen Küste rauschen und den Verkehr in der Mitte Londons, wo Jarman eine Wohnung hatte. Diese Tondokumente werden von Rimbaud so verändert, daß sie sich in musikalische Strukturen einbetten. Sie gehen über in einfache Klagemelodien, werden unterlegt mit verhaltenen Beats. Das dritte Element sind Fragmente aus Gesprächen, die Rimbaud mit Jarman über die Jahre geführt und aufgezeichnet hat. Manchmal sind ganze Passagen zusammenhängend zu verfolgen, dann wieder werden einzelne Worte – wie im Frühwerk von Steve Reich – geloopt oder rückwärts abgespielt.
Dem Thema der Platte entsprechend, geht es Rimbaud diesmal – auch im Unterschied zu Thaemlitz, mit dem ihn grundsätzlich eine cultural studies-beeinflußte Vorgehensweise verbindet – nicht um das Aufbrechen von Sounds, sondern um die Konfrontation ihrer herkömmlichen Kontexte. Über „The Garden Is Full Of Metal“ liegt eine elegische Stimmung. Rimbaud versucht auf sehr persönliche Weise, sein Verhältnis zur Person und zur Arbeit Jarmans in seinem Medium auszudrücken. Das kann stellenweise etwas schwülstig klingen – im übersteuert aufgenommenen Meeresrauschen liegt aber auch die heftige Trauer über den Verlust des an den Folgen von Aids gestorbenen Freundes. Martin Pesch
Terre Thaemlitz: „Means From An End“ (Mille Plateux/Efa)
Scanner: „The Garden Is Full Of Metal“ (Sub Rosa/Efa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen