Zwischen den Rillen: Auf Seelenfang
■ Nichts für die Atheisten unter uns: Neue Platten von Maxwell und Des'Ree
Musik, zu der ein Arschlochpublikum Sekt aus Pumps trinkt. Pussy-Musik. So lauten beliebte Vorurteile gegenüber aktuellen R'n'B-Produktionen und neuerem Soul. Hört man sich in seinem Freundeskreis um, muß sich auch der aus Brooklyn stammende Maxwell damit auseinandersetzen. Obwohl mittlerweile die halbe Welt hinter ihm und seinem neuen Album „Embrya“ her ist. Und obwohl er es mit seinem Debüt „Urban Hang Suite“ fertigbrachte, der reinen Sexprotz- und Eleganzfalle aus dem Weg zu gehen.
Gut, da lagen die goldenen Stöckel einsam und verlassen auf dem Teppich, und Maxwell beschaute – nach einer Liebesnacht? – allein im Bad sein Spiegelbild. Doch knackig und groovy waren viele seiner Songs, selten hatte man das Gefühl, sie würden in schaumigem Badewasser absaufen. Seine rauchige, durchsichtige, manchmal auch schwülstige Falsett- stimme meinte man in ihrer Eindeutigkeit so noch nie gehört zu haben. Manche Songs ließen Erinnerungen an Marvin Gaye aufkommen, und seine Performerqualitäten verschafften ihm schnell den Genuß einer MTV- Unplugged-Session. Aber auch auf die für dieses Genre unverzichtbaren Song-Essentials wie Gefühl und Spiritualität brauchte bei Maxwell niemand zu verzichten.
„This album is definitely about ,within‘, about my outlook on the inner thing I'm desiring“, hat Maxwell anläßlich der Veröffentlichung von „Embrya“ erklärt. Einen „Liebesbrief an Gott“ hat er das Album genannt. Maxwell nennt Ihn, nennt sich MUSZE, und der hat ihm auch alle Songs geschrieben und produziert und darf, so er will, Tag und Nacht sein Haupt in Maxwells Schoß legen. Sehr bewegend und gar nichts für die lauteren Atheisten unter uns!
Auf dem Cover schwebt er wie ein Embryo durch Zeit, Raum und Mutterleib, und wie allein der Titel beweist, scheint er anders als männliche Soul- kollegen sexuell nicht eindeutig festgelegt zu sein. Maxwell hat es in den meisten seiner Songs mehr mit großen Zusammenhängen, mit einer souligen Utopie des großen Miteinanders. Mit „I'm you, you are me and we are you (pt. me & you)“, wie ein sehr verschlungen formulierter Song heißt. Oft ist er natürlich auch der Ladylover, allerdings so vorsichtig und zurückhaltend, daß die Damenwelt keine große Sorge tragen muß.
Musikalisch gefallen auf Anhieb die ersten drei Stücke des Albums. Die sind wieder beeindruckend groovy, hier läßt ein manchmal wie an einer Schnur aufgezogener tiefer Baß die Herzen höher schlagen, die Keyboards sorgen für die restlichen guten Momente. Mitunter wird's aber auch ganz brisant, da mag man doch nur schleunigst zur Fernbedienung greifen. Da schmachtet und wimmert Maxwell in einer Art und Weise, die nach härterem Stoff verlangt und nach einer Welt, in der man nicht von solchen Privatheiten, Intimitäten und anderem Schmu belästigt wird.
„Adult contemporary, urban“ nennt die Plattenfirma Maxwells Musik – zeitgenössische Erwachsenenmusik, die nichts übrig hat für die Träume Heranwachsender von Freiheit, Rebellion und Abenteuer. Die in ihrer ganzen Spiritualität aber auch etwas Ländliches hat. Und die sich mittlerweile sicher nicht nur eine anspruchsvolle, städtische, zumeist weiße Hörerschaft zu vorgerückter Stunde zu Gemüte führt. Maxwell verbindet Eleganz und Verletzlichkeit, er ist ehrlich und ein komplexer Charakter, und so gar nicht möchte man ihn mit Seidenanzügen, Sex und Party in Zusammenhang bringen.
Sein aktuelles weibliches Pendant, seine Schwester im Geiste, ist Des'Ree mit ihrem vor allem die Charts rauflaufenden Hit „Life“ und ihrem neuen Album „Supernatural“. Nach dem 94er Longtime-Hit „You Gotta Be“, der später auf dem Tributalbum für Diana landete, und ihrem Romeo-&-Juliet-Filmbegleiter „Kissing You“, der die erste Szene von Leonardo DiCaprio und Claire Danes musikalisch illustriert, kennt ein Millionenpublikum die karibischstämmige Britin als Frau für bestimmte Stunden des Glücks und des Herzschmerz.
Doch „Supernatural“ ist in seiner Gesamtheit ein Hohelied auf Natürlichkeit, Bodenständigkeit und Lebenskraft geworden, eine Coverversion von Bruce Springsteens „Fire“ kommt da nicht von ungefähr. Manchmal geradezu überschäumend und opulent instrumentiert (wenn in „I'm kissing you“ die Strings zwitschern, biegen sich die Balken), ist es insbesonders die kraftvolle Stimme von Des'Ree, die Song für Song dominiert und diese Natürlichkeit hervorruft. Von der zeitweiligen Zerbrechlichkeit und Innerlichkeit eines Maxwell ist hier nichts zu hören, erschöpft sehnt man sich da manchmal gar nach ein wenig Schlappheit und Dekadenz. Aber Des'Ree ist bei aller Bodenhaftung auch auf der Suche nach Wahrheit und Schicksal, und da wird's dann supernatürlich. Auch sie weiß, daß Gott viel, viel mehr weiß, auch sie ist in Seiner Gegenwart demütig bis in die Haarspitzen. Und sie sucht ihr Heil, wenn gar nichts mehr geht, bei den Sternzeichen. Für sie trägt ein jeder sein Zeichen mit sich herum und ist wenigstens so irgendwie auserwählt. File under „Adult, Contemporary, Pop“, sagt die Plattenfirma, doch wer schon immer mal wissen wollte, wie es an der Schnittstelle von Sendung, Suche und Soul so aussieht, wird mit diesem Album ebenfalls bestens bedient. Gerrit Bartels
Maxwell: „Embrya“ (Columbia/Sony)
Des'Ree: „Supernatural“ (Sony)
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