Zwischen den Rillen: American Zeroes
■ Melancholie, Misere, Magengrummeln: Jack Logan/Bob Kimbell und Vic Chesnutt
Jenseits von „The Big Lewinsky“ schlummert immer noch das Gute im Amerikaner. In Peter Buck ganz besonders. Der R.E.M.-Gitarrist gehört zu den ersten Männern im Staate, wenn es um die Pflege des US- Rock-Brauchtums geht. Jack Logan etwa empfahl er dem Soul-Asylum-Produzenten und Twin-Tone-Labelchef Peter Jesperson. Aus über 600 Tracks, die Logan zwischen 1979 und 1993 mit ein paar Freunden am eigenen Kitchen table aufgenommen hatte, stellte Jesperson die 42-Song-Kollektion „Bulk“ zusammen. Logans lyrischer Budget-Blues erntete alsbald den Authentizitätspreis der traditionellen US-Rock-Presse, die sein Songhandwerk in den schönsten schrecklichen Farben pries: „Dejected, lovelorn, desperate and drunk.“
Seine dritte CD „Little Private Angel“ hat Logan nun mit Kumpel Bob Kimbell aufgenommen – ein Haufen handgeschnitzter Loser-Stories, die mit dem Chaos auf dem Küchentisch aufräumen und einen sehnsüchtigen Blick nach draußen werfen. Wie Logan & Kimbell ihren Gefühlshaushalt in todschickem, teilweise versetztem Chorgesang ausmessen, das ist 1-a-Stoff für die globale Buffalo-Springfield-Gedächtnis- Gemeinde. „Don't Make Me Admit To You How Desperate I Really Feel“ – das dürften selbst Stills & Young anno 98 nicht mehr so vorbildlich hinkriegen.
Auf dieser Platte ist alles familiär: die satte Westcoast-Gitarrenpracht, der weiche Honky Tonk der Beach Boys, die murmelnden Stimmen aus dem sozialen Rattenloch Amerika. Logan & Kimbell schreiben Songs, die nach der Gitarre in deinem Jugendzimmer rufen. Und schaust du jetzt vielleicht etwas konsterniert und irgendwie berührt in die Ferne, holen Logan und Kimbell dich auch schon wieder mit dem passenden Wort zur Großwetterlage in die Gegenwart zurück: „I Looked Out The Window, It Was Raining Like Hell.“
Darüber dürfen wir uns ganz schön ärgern. Logan & Kimbell deklinieren Befindlichkeiten zwischen Melancholie, Misere und Magengrummeln durch die klassischen amerikanischen Settings. Und landen oft genug wieder im eigenen Auto, wo sie lakonisch ihrem Voyeurismus frönen und Pärchen beim Sonntagsnachmittagsspaziergang beobachten. Es gibt Eier, Toast und Pizza; sie sitzen und fahren, sie buchstabieren ihre Erfahrungen mit ein paar Skizzen, die ganz bestimmt „Stranger Than Paradise“ sind.
Das mit den Autos hat einen Hintergrund: Logan repariert als Mechaniker Swimmingpool- Pumpen, Klimaanlagen und Motoren. Und beabsichtigt keineswegs, seine hauptberufliche Tätigkeit an den Nagel zu hängen, nur weil die Leser des Rolling Stone ihn 1996 augenzwinkernd auf Rang zwei in der Sparte „Newcomer Of The Year“ wählten.
Vic Chesnutt kennt nicht nur die Arbeitsstätte Logans in Georgia, er war auch Co-Autor und Sänger bei einem Song auf „Bulk“, dem Rolling-Stones- verdächtig rockenden „The Parishioners“. Für seine neue, insgesamt sechste CD seit 1988 hat Chesnutt die komplette Mannschaft von Kurt Wagners Lambchop engagiert. Wundern sollte man sich also nicht, wenn „The Salesman And Bernadette“ – mal abgesehen von den paar Takten Bowie auf „Replenished“ – wie die neue Lambchop klingt (auf der Chesnutt wiederum sehr vorteilhaft mitwirkt). Die 14 Songs swingen im raumgreifenden Nashville-Orchester-Sensurround-Sound mit Blechbläsern, Pedal Steel und Vibraphon. Aber Chesnutt schneidet mit seiner Stimme (wahlweise knarzig, schlummernd, ins Operettenhafte tendierend) dieser besonders angenehmen Variante des Softpop gerne eine Fratze. Und der Hörer geht mit dem sicheren Gefühl aus jedem Song, diese Stories mögen zwar böse und traurig sein, sie mögen von Typen mit krausen Köpfen erzählen, doch at the end of the day lugt aus dem sinfonischen Gewimmer stets ein Reimpärchen hervor: „She's A Nazi when she's shopping / but wholly democratic, you should see who she's been bopping“ (“Arthur Murray“).
Chesnutts Charaktere sehen aus wie Woodrow Wilson, besitzen einen „Eisenhower ashtray“ und diese Erinnerung an den Abend, als „Harold And Maude“ gezeigt wurde. Sie sind vertrauenerweckende Standbilder in einer fremden und seltsamen Welt, die kein soziales Gewissen, keine Sicherheit mehr kennt. Doch hat man sich damit erst einmal arrangiert, geht's weiter. Chesnutt weiß das, er fährt mit der Depression spazieren, er sitzt in seinem Rollstuhl und singt und spielt Gitarre. Bis zum nächsten großen R.E.M.- Backlash, der uns schon angekündigt ist.
Diese beiden Platten erzählen im Prinzip nichts anderes, als daß es uns doch irgendwie gut geht, relativ gesehen natürlich. Daß die Schröder-Plakate jetzt kurz vor Toresschluß auch noch mit „Bin ich schön?“-Aufklebern für den neuen Doris-Dörrie-Film aktualisiert wurden, könnte übrigens als cleverer Last-Minute-Schachzug der SPD-Werbetreibenden gelten. Ironie wäre immerhin der erste Schritt zur Katharsis. Auch ich bin im Prinzip für ein vernünftiges Sozialsystem. Frank Sawatzki
Jack Logan & Bob Kimbell: „Little Private Angel“ (Trocadero/TIS)
Vic Chesnutt: „The Salesman & Bernadette“ (Rough Trade)
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