Zwischen den Rillen: Jahrtausend-Babys
■ Bruder Britpop rüstet sich fürs neue Millennium. Mit Blur und Ultrasound
Pro Trennung verbraucht Damon Albarn ein Album. Das letzte hieß wie seine Band, „Blur“, und verabschiedete sich von Bruder Britpop, behauptete jedenfalls die Band, und was konnte die schon dafür, wenn sie ungebrochen erfolgreich blieb. Das neue Blur-Album „13“ hat eine ungleich diffizilere Thematik: das Ende der Beziehung zwischen Damon Albarn und seiner Freundin Justine, Sängerin der Band Elastica. Wenn nun aber Albarn, immerhin zweitschönste Identifikationsfigur Britanniens, eine komplette Songkollektion mit Verarbeitungslyrik einrahmt, ist schon kollektives Haste-nich- gehört? angesagt.
„Tender is the night, lying by our side“ – das Terrain weiß der Sänger gleich in der allerersten Zeile dieses Albums abzustecken, fortan treibt ihn ein frommes Streben um: „Tender is the day, the demons go away / Lord, I need to find someone who can heal my mind.“ Und dann geht's „hey jude“-mäßig den ganzen langen Bach runter, ein Gospelsong mit freundlicher Genehmigung der Kollegen von Primal Scream, die Albarn, Coxon, James und Rowntree ihren „Come Together“-Chorus von Neunzehnhundertdingsda ausgeborgt haben. „Tender“ stieg von null auf zwei in die britischen Single-Charts.
Überhaupt, das Modell Primal Scream, das mit seinen nicht unumstrittenen Auswuchtungen ins Amerikanische über Dancefloor und Dub kurz nach Football wieder auf die Insel heimfand, scheint Anziehungskraft auf Blur ausgeübt zu haben. Die mannigfaltigen Texturen, die die Beschäftigung mit Pop außerhalb des eigenen musikalischen Tellerrandes so gebiert, sind vorteilhaft auf einzelne CD-Tracks verteilt: rauhhaariger Fuzz-Punk, zerfaserte, zerfallende Popsongs, die einfach wegsterben und als avantgardistische Fingerübung oder Blues-Sentiment wiedergeboren werden. „Bugman“, die vielleicht entschiedenste Abfuhr an alte Blur-Fans, verschwindet als Rudiment im Fade Out, nicht ohne vorher Sun Ra via Zitat gegrüßt zu haben: „Space is the place“, eine zweite Standortbestimmung für dieses Album. Die Songs, sie hängen etwas bewegungsarm in der Luft, und kommt eine Melodie zu rasant ins Spiel, schießt die Band sie mit Feedback oder ein paar Synthesizer-Schleifen augenblicklich auf den Mond.
Mit solch unerschrockenen Kontext-Verschiebungen läßt sich interessanterweise über die volle Strecke von 66 Minuten ein gutes Album bestreiten – richtig großartig werden Blur aber erst in einem Stück wie „Trailerpark“, das die letzten verbliebenen Dämonen mit kakophonischen Spitzenleistungen und einem Hinweis vertreibt, der die Qualität eines gespielten Witzes hat: „I lost my girl to the Rolling Stones“, singt Damon in seinem schlechtesten amerikanischen Akzent.
Alles richtig gemacht zu haben schützt vor der Ironie des Schicksals nicht. Ausgerechnet dieses erratische Blur-Werk, das nur sich selbst und seinen Machern verpflichtet ist, dreht die Britpop- Spirale ein paar entscheidende Umdrehungen weiter. Ein A&R- Mann beim Oa-Label der alten Feinde Oasis gab sicherheitshalber schon einmal zu Protokoll, das neue Album klinge „nicht wie Oasis“. Na prima! Zweifellos die korrekte Strategie in der extended version des Britpop, die man gerade spielt. Bereichert wird sie nur noch von Noel Gallaghers Plan, mit dem neuen Album gleich die erste Nr. 1 im Jahre 2000 zu landen, da spricht er vielen jungen Menschen aus der Seele, „Jetzt planen: das Jahrtausend-Baby“, titelt das Kölner Lokalkäseblättchen.
Oasis 2000 interessieren Ultrasound wahrscheinlich noch weniger als Blur heute. Die Musiker dieser Band haben Probleme mit sich selbst, die sie am liebsten dem New Musical Express mitteilen: Untereinander walte der Haß, sprechen könne man nicht miteinander. „Wir gehen alle in Therapie.“ Was sie dort lernen, ist nicht bekannt – vor der Kamera neigten Tiny Woods und Kollegen jüngst dazu, den blanken Hintern oder Bauch rauszustrecken, von dem dann ein lippenstiftrotes „unique“ prangte. Würden wir diese aufgeblasenen Vaudeville-Typen, die überall mit ihren Macken hausieren gehen, nicht schon aus früheren Blur-Lyrics kennen, wir hielten Ultrasound für eine komödiantische Bereicherung der Szene.
Doch ihre Musik hat was Gutes. Der übergewichtige Woods, der sich vor keinem Meatloaf- Vergleich scheut, kratzt mit seiner Band ganz empathisch die Kurve von historischen Glimmer- Glammer-Großtaten zum zeitgemäßen Gitarrenrock. „Aire & Calder“ schenkt Crosby Stills Nash & Young ganz schicke Space-Pop-Melodien, „Same Band“, eine frühe Single der Band, läßt ahnen, was passiert wäre, wenn man Genesis (die Peter-Gabriel-Version) mit den Happy Mondays in ein Studio gesteckt hätte. Ultrasound sind die Typen, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben, allzu talentierte Kopisten, die mit dem Rock'n'Roll eine etwas pragmatische Allianz eingehen. Ihre oft länglichen Songs erzählen genaugenommen, wie alles gekommen wäre, wenn man nur ein bißchen mit dem Rad der Zeit gespielt hätte. Möglicherweise. Der sportive Ehrgeiz, sich im Genre Britpop und also irgendwie vorne zu beweisen, geht ihnen hör- und dankbar ab. Der Konjunktiv kann kommen. Frank Sawatzki
Blur: „13“ (Flood/EMI)
Ultrasound: „Everything Picture“ (Nude/Sony)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen