Zwischen den Rillen: Der Mensch in der Einsamkeit
■ Die Ruhe nach dem Sturm der Charts: Die Cranberries und Skunk Anansie
War das schön, als 1994 die Cranberries auftauchten. Eine Band aus Irland, die nie müde wurde, in den Refrains ihres melancholischen Gitarrenpops die Stimme von Sängerin Dolores brechen zu lassen. Richtig hip waren sie nie. Aber spätestens seit dem „No need to argue“-Album von 1995 kümmerte das nicht mehr. Auf dieser Scheibe befand sich „Zombie“, eine Grunge-Pop-Nummer mit Ohrwurmqualität und dieser Prise süßer Verletzlichkeit, in der sich weltschmerzgeplagte MTV-Kids leicht wiederfinden. Und außerdem konnte jeder hören: Das Quartett aus Limerick ist so richtig gegen Bürgerkrieg, Unterdrückung und überhaupt.
Oberpreiselbeere Dolores O'Riordan wurde so etwas wie die legitime Nachfolgerin von Sinead O'Connor. Wenn sie auch, was den in der Republik Irland alles bestimmenden Katholizismus anging, eher auf der anderen, der richtigen Seite zu stehen schien. Man engagierte sich bei Warchild, sang mit Pavarotti für Sarajevo, schrie mit dem Stück „Bosnia“ gegen den Irrsinn des Krieges an. Gutmenschen von der Grüninsel eben.
Doch irgendwann wurde den Cranberries alles zuviel. Erfolg in Übersee, Erfolg auf dem Kontinent und im Fünf-Einwohner-Irland bekannt wie bunte Hunde: Zeit für eine Arbeitspause. Dolores O'Riordan und ihre drei Jungs hingen eine Zeitlang ab, um sich so unterschiedlichen Projekten wie Trekkingurlaub in Asien, Fußballstadionbesuchen in London und Manchester, einem Restaurant in Limerick oder einem Kind zu widmen. Letzten Dezember tauchten sie wieder auf, zur Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo mit dem noch unveröffentlichten „Promises“. Eine irische Band unterstreicht den Friedens-Oscar für die Versöhnungspolitiker John Hume und David Trimble: „You better hold on to your promises. Because you bet, you'll get what you deserve.“
Das Lied zur Laudatio gibt es jetzt auf dem neuen Album der Cranberries, „Bury the Hatchet“. Ein nackter Mann kauert da in der Wüste von Arizona – diese Optik verbietet sich eigentlich schon, seit U2 das Band-in-der-Wüste-Bildklischee begründet haben. In den Himmel darüber hat der Computer ein Auge gezaubert, Surrealismus aus dem Setzkasten.
Aber die Musik klingt noch ganz so wie früher. Gitarre und Stimme im Wettstreit, und wenn es in den Refrain geht, wird Dolores gesampelt und als ihre eigene Backgroundsängerin verwendet. Melancholische, nach innen gewandte Melodien. Manchmal erweckt Dolores O'Riordan den Eindruck, als mißtraue sie den Instrumenten, als wolle sie wirklich jeden Ton selbst singen. Weitgehend Selbstreflexion in den Texten: „Uns haben früher alle möglichen Dinge beschäftigt. Aber jetzt konzentrieren wir uns auf unsere Stärken“, sagt Gitarrist Noel. Soll heißen: Seelenpop. Die Sorte von traurigem Lied, das man endlos hören möchte, vom Hochmoor träumend und einem Cottage mit freundlichen Menschen und brennenden Kerzen.
Eine andere Band, noch vor der Babypause: Skunk Anansie. Das waren die, die vor zwei Jahren mit dem Liedchen „Hedonism“, das anderes hieß als sein Refrain (“Just because you feel good, does it make you right?“), dem Wort Hedonismus eine Renaissance beschert haben. Auch bei den Crossover-Rockern aus London prägt eine Frontfrau den Stil: Skin, Markenzeichen dunkle Glatze und das blitzende Weiß in Augen bzw. gefletschten Zähnen. Eine agenturgerechte Angry young woman der Endneunziger mit verletzt-aggressiver Attitüde der Unterdrückten. „Intellectualize my blackness“ war die Duftmarke auf dem Debütalbum, und „Yes, it's fucking political“ ordnete Scheibe Nummer zwei ein: Mit uns ist nicht zu spaßen.
Skin in Tarnhosen, Skin im Tanktop, Skin muskulös und hochgewachsen, bedrohlich androgyn. Und in der Stimme immer dieses Timbre, eine durchklingende Verletzlichkeit, die in jedem noch so aggressiven Song mitklang, „Week as I am.“ Dieselbe Skin sitzt auf dem Cover von „Post Orgasmic Chill“ im glänzenden schwarzen Minikleidchen in einem billigen Hotelzimmer im Schatten. Dahinter der Rest der Band und Blick aufs Meer. Schatten, Kühle, Gruppenbild mit Dame.
Drei Jahre fast ununterbrochen auf Tour, grub sich die Band letzten Sommer in einem Studio bei Woodstock ein, um sich zum ersten Mal richtig viel Zeit für eine Albumaufnahme zu gönnen. Ein Chillout auf dem Land nach dem Konzertmarathon. So klingen die Songs auf „Post Orgasmic Chill“ wie die kühle Brise nach dem Kick: abgeklärter, technisch besser. Mal ein Intro mit Drum 'n' Bass angefangen oder eine Horde Streicher unter eine Ballade gelegt, viel mehr hat sich stilistisch gegenüber dem Vorgänger „Stoosh“ nicht verändert. Rhythmus und Riffs wie eh und je, wie bei den Cranberries viel Selbstreflexion. Nur daß Skunk Anansie die Übersättigung, den Zwang zum Abschalten noch vor sich haben. Er klingt schon an in der seltsamen Synthese aus Crossoverrock und Straßenromantik in „On my hotel TV“.
Band im Rausch der endlosen Tourneen, die Sängerin im Geschlechterkrieg, der Mensch in der Einsamkeit. Skin kann alles herausschreien, daß es tanzbar ist. Nicht in den angesagten Clubs. Eher in dieser Jugenddisco, die seit jeher denselben Sound spielt. Stefan Schmitt
The Cranberries: „Bury the Hatchet“ (Island)
Skunk Anansie: „Post Orgasmic Chill“ (Virgin)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen