Zwischen den Rillen: Der Bienenflüsterer
■ Zufrieden im Zen-Garten des Sounds: Pop-Aussteiger David Sylvian
David Sylvian kann man kaum vorwerfen, die Dinge zu überstürzen: Zwölf Jahre liegt sein letztes reguläres Studioalbum „Brillant Trees“ zurück. Die letzten musikalischen Lebenszeichen konnte man vernehmen, als Sylvian mit dem Frickel-Gitarristen Robert Fripp herumexperimentierte.
Vom Lärm und der Hektik des Popgeschehens hat sich der Musiker freilich schon lange abgewandt. Eigentlich schon, seit er 1982 seine Band Japan auf dem Höhepunkt ihrer Popularität auflöste. Das Drama des begabten Kindes: Mit blondierten Haaren, viel Haarspray und Kajalstift als androgynes New-Wave-Wunderkind gefeiert, hatte er mit 24 bereits genug vom Trubel. Vom introvertierten Einzelgänger zum stilbildenden Popstar, das muß ja auch erst einmal verkraftet werden. Die Soloalben, die er im Laufe der achtziger Jahre veröffentlichte, hatten nichts mehr vom Disco-Glamour früher Japan-Tage. Statt dessen: introspektive Naturbetrachtung, funkelnde Bäume und geheimnisvolle Bienenstöcke. Stille Schönheit in entrückten Sphären. Dann: Sendepause, nur hier und da noch ein bißchen aktiv. Irgendwer sagte auch: Krise.
Vielleicht haben die wogenden Weizenfelder um Minneapolis ja eine beruhigende Wirkung auf ihn gehabt. Mehrere Jahre lang lebte David Sylvian in der Stadt am oberen Mississippi, große Teile des aktuellen Albums sind dort entstanden. Nach Minneapolis zog Sylvian, weil er die einstige Prince-Muse Ingrid Chavez ehelichte – womit aber schon die Gemeinsamkeiten erschöpft wären zwischen den beiden Pop-Exzentrikern. Nun also „Dead Bees On A Cake“. Was will uns der Künstler damit sagen? Ein kleiner Insider-Scherz? Oh, diese Engländer!
Er ist ja nicht ganz von dieser Welt: als Eigenbrötler und, neben Talk-Talk-Kopf Marc Hollis, vielleicht der schillerndste Pop-Aussteiger der achtziger Jahre, kann er es sich leisten, seinen Tagträumereien und einem kleinen Esoterik-Spleen nachzuhängen (wenigstens hat er sich seine lange Jesus-Mähne schneiden lassen). Aber zwischen all dem heiligen Ernst, der von David Sylvians Kompositionen ausstrahlt, scheint ab und zu ein Augenblinzeln auszugehen. Und sind Samples von John Cage, John Lee Hooker und dem Mahavishnu Orchestra, die in den neuen Stücken eingebaut sind, in ihrer absichtsvollen Zufälligkeit nicht auch schon ein wenig skurril? Fast scheint es, als würde sich Sylvian über die eigene aristokratische Weltabgewandtheit amüsieren. Vielleicht ist es dieser Hauch von Distanz zum eigenen Künstler-Ego, der Sylvian davor rettet, in der Pose des kleinen Prinzen zu erstarren.
Jedenfalls hat „Dead Bees On A Cake“ alles, was zu einem David-Sylvian-Werk dazugehört: eine erlesene Musikercrew, von alten Bekannten wie Mentor Ryuichi Sakamoto, Bill Frisell oder dem Jazz-Trompeter Kenny Wheeler hin zu neuen Namen wie dem Gitarristen Marc Ribot oder Talvin Singh, dem Londoner Tabla-Spezialisten. Hingetupft, filigran, ätherisch – wieder treffen alle Attribute zu, die auch sonst immer passen. Und immer noch wandert Sylvian mit sonorer Stimme durch den Irrgarten seiner musikalischen Fantasien, ein versponnenes Wolkenkukkucksheim. Doch scheint er nicht mehr so verloren in diesem impressionistischen Labyrinth, angeordnet nach gewissenhaft angelegten Bauplänen. Irgendwie wirkt er ausgeglichen, geradezu zufrieden, wie er durch den geharkten Kies seines Zen-Gartens des Sounds spaziert, einer Welt aus elegischem Wohlklang, in der selbst die Dissonanzen mit einer gewissen Eleganz daherkommen. David Sylvian hat nicht Schlaflosigkeit in Seattle, sondern Erleuchtung in Minneapolis gesucht und, so scheint es, gefunden. Jetzt lebt er in Kalifornien. Es kann also noch optimistischer kommen. Daniel Bax
David Sylvian: „Dead Bees On A Cake“ (Virgin)
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