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Zwischen den RillenSägezahn der Zeit

■ Bolztechno-Schule mit Abiturfaktor: Kurbel Records, Kanzleramt, Rok

Auch elektronische Musik entkommt der Historisierung nicht. Genau wie überall sonst werden Stile recycelt und neu aufgelegt. War es letzte Saison Elektro, so ist es heuer der Sägezahn-Sound, der durch den Retrowolf gedreht wird. Die neue Bolztechno-Schule kommt als eine gelungene Reprise des Sounds jener Zeit daher, als Techno noch Tekkno hieß, nur mit einer wichtigen Verschiebung: Die Musik hat danach eine „Minimal Techno“-Phase durchlaufen, ist deshalb ein wenig sauberer produziert und um einiges geschmackssicherer arrangiert. Ein Abiturfaktor quasi, denn die meisten der Produzenten sind irgendwo Anfang zwanzig, haben wahrscheinlich als Teenager das Gebolze der früheren Neunziger gehört, sind dann mit Minimal Techno gereift, und nun wollen sie wieder brettern wie die Holzfäller, wenn sie schon zur Uni gehen oder Zivildienst machen müssen. Trotzdem wird das dann meist von einer Kraft getragen, als hätten die Protagonisten das Genre gerade frisch erfunden.

Wenn sich die ganzen Vertreter des Electro-Revivals nicht zuletzt auch eine coole Achtziger-Jahre-Vergangenheit mit alten Computerspielen und Breakdance nacherfanden, dann sind die Bolztechno-Produzenten pragmatischer: Ihre Tracks hören sich so an, als ginge es nur darum, noch einmal jenen Kick zu reproduzieren, der es war, diesen Sound das erste Mal zu hören. Dafür werden zwar keine Innovationspreise vergeben, die will aber auch niemand mehr haben. Die Zeiten der Fortschrittslyrik im Techno sind ohnehin vorbei.

Wie meist in der elektronischen Musik spielt sich auch diese Wachablösung vor allem auf Maxis ab. Doch jeder, der keinen analogen Plattenspieler in die späten Neunziger herübergerettet hat, kann sie auch digital nachvollziehen. Da wäre als erstes Kurbel Records aus München. Kurbel ist im Umfeld des dortigen Clubs Ultraschall angesiedelt, und der Label-Betreiber Richard Bartz ist berühmt für seine schnurgeraden Techno-Live-Sets. Als Teenie hatte er auf einer Acid-Party mit DJ Hell sein Initiationserlebnis und veröffentlichte schon wenig später seine ersten Stücke. Richard Bartz ist wiederum auch auf der Compilation des Projekts Kanzleramt prominent vertreten.

Kanzleramt hat seinen Sitz in Bad Nauheim. Entstanden aus einer Technokneipe gleichen Namens, gibt es das Label jetzt seit fünf Jahren, und zum Ende der Legislaturperiode legt es eine Compilation vor. Und die ist wiederum mit dem dritten Label, Luxus, zumindest über einen Künstler namens Voodooamt verbandelt. Und so ist Luxus der dritte Bruder im Geiste, einige Kilometer entfernt in Frankfurt ansässig. Doch wo bei Kanzleramt immer noch gewisse Reste von Sophistication festzustellen sind, geht es bei Luxus immer voll auf die 12.

Gerade weil es aber vor allem Maxis sind, die Bolztechno ausmachen, ist er als fertiger Mix für den Hausgebrauch ohnehin am besten zu goutieren. Der Mix zum Genre kommt von einem der Veteranen auf einem der altgedienten Labels, nämlich von DJ Rok auf Tresor Records. Der Titel seiner Mix-CD „Sturm & Drang“ trifft es aber doch nur zur Hälfte, ist Techno doch eigentlich nunmehr in die Periode der Klassik übergetreten. Aber so literaturgeschichtlich genau nimmt das niemand mehr, der schon in der Sturm-und-Drang-Phase von Techno geraved hat und das heute immer noch tut. Hauptsache, es stürmt und drängt. Und dem ist so. Grob und mit geübter Schlag-drauf-und-Schluß-Faust spielt sich Rok durch eigene Tracks und durch die Stükke von Kollegen.

Tobias Rapp

Kurbel: Compilation 2 (Kurbel/EFA); Kanzleramt: Five (Kanzleramt/EFA); Luxus: Compilation (Luxus/Intergroove); Rok: Sturm & Drang (Tresor/EFA)

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