Zwischen den Rillen: Moog in Moll
■ Folk ist auch nur ein File: elektronische Innerlichkeit bei Grandaddy und Scott 4
Der Singer/Songwriter von heute hat ein Problem, wie es sonst Raucher kennen. Wer selber dreht, erinnert sich vielleicht an den merkwürdigen Spruch, der früher auf die orangen Gizeh-Blättchenpackungen gedruckt war. Jedenfalls stand da: „Der Tradition verpflichtet, dem Neuen aufgeschlossen“ oder so ähnlich, und man wußte nie recht, wer mit dem Bekenntnis gemeint war – die Raucher, der Tabak oder das Papier?
Dieser gut abgehangene Sinn für bleibende Werte schlägt nun musikalisch zurück: Elektronik verbündet sich mit Folklore, Country lädt sich HipHop ein, und zu akustischen Gitarren fiept der Moog-Synthesizer. Zwar saß bei Beck schon der Stetson recht locker auf Beats und Samples, aber erst in der nachfolgenden Riege computerisierter Twentysomethings hört man das ganze Ausmaß, das aus der Versöhnung von Folk, Pop und Dancefloor hervorgegangen ist – Konsens schaffen ohne Waffen.
Anders läßt es sich kaum erklären, warum eine Band wie Scott 4 als fetter Hype heranprescht, bloß weil drei Londoner Nerds namens Blixen, Moody und Tilley in ihren Songs Kraftwerk mit Gram Parsons koppeln. Tatsächlich wirkt eine solche Kombination, vor der Puristen aus beiden Lagern bislang wohl schreiend davongelaufen wären, zeitgemäß und selbstverständlich. Folk ist ein File mehr, das man sich auf den PC herunterladen kann. Bob Dylan, der als „Judas“ beschimpft wurde, weil er seine Gitarre elektrisch verstärkt hatte, dürfte zumindest staunen, wie locker bei Scott 4 auf „Works Project LP“ Drumboxen und Sequenzer mit Sätzen einhergehen wie „I still see a trail from the road waggons“.
Manchmal wird auch ein Vocoder zugeschaltet, wenn von Robotern oder elektrischen Zügen die Rede ist. Zugleich bleibt die Stimme von Scott Blixen, wenn er über den Kummer im urbanen Leben singt, meist verhuscht im Hintergrund. Man grübelt schwer und läßt an der Front die Maschinen arbeiten. Dabei bewegen sich Scott 4 auf dem Grad, der Songwriting nicht in trotziges Barden-Retro oder kokette Sentimentalität abgleiten läßt. Zielstrebig heißt das eigene Label Folk Archive, das Cover der „Recorded in State LP“ von 1998 zeigte Farmerhütten, und dazu gab es Samples wie „Sah ein Knab ein Röslein steh'n“. Das muß vom New Musical Express bis zum „Musikantenstadl“ auf beiden Seiten des Kanals verwirren.
Andererseits ist es im britischen Kontext durchaus plausibel, wenn die Band zwischen „Ancient & Modern“ das Mittelding sucht und dafür sowohl nach US-amerikanischen Vorbildern als auch skurrilem deutschem Liedgut schielt. Nun liegt gerade in der geschmackvollen Abseitigkeit die Gefahr allgemeiner Verwurstung: Hat nicht zuletzt Fatboy Slim jede noch so obskure Single-Rarität für Großraumdiscos formatiert? Offenbar wissen auch Scott 4, wie man Rockismus in 99 erdet – immerhin veröffentlichen sie mittlerweile selbst bei V2. Der Cowboy am Synthie könnte dabei als Symbol für Widersprüche und Dissidenz funktionieren, bevor die Dienstleistung auch in dieser Nische durchschlägt. Solange darf man sich freuen, wenn aus irgendeinem Winkel Blixen trübe Geschichten von Erfahrungsverlust und Modernisierungsgewinnern erzählt. Oder wie es im Song „Troubles 1-2-3“ heißt: „1. Economics 2. Isn't truth.“ Dann geht auch der zackig klappernde Human-League-Beat zur Slidegitarre in Ordnung.
Die kalifornischen Grandaddy haben noch tiefer als Scott 4 in der Kiste mit Stilen von damals gekramt. Auf Bildern lächeln sie einem als vollbärtiger Waltons-Verschnitt entgegen, und für das Cover von „The Broken Down Comforter Collection“ schaut ein Mann im Anzug zwei Holzfällertypen dabei zu, wie sie mit einem Mischpult zwischen Feldsträuchern auf dem Acker hantieren. Trotzdem klingt das „Back to the roots“-Konzept von Grandaddy nicht wie Creedence Clearwater Revival, sondern schwer nach Achtziger-Indie-Rock Marke SST und Co. – was sie allerdings nicht weniger majorkompatibel macht als vor ihnen etwa die Pixies.
Insofern ist die aktuelle CD bloß eine Sammlung älterer EPs von 94 und 97, mit der die Zeit bis zum neuen Album überbrückt werden soll. Was bei Grandaddy vom Punk übrig blieb, ist eine große Liebe zu Noise: Alles sägt, die Bässe steuern im roten Bereich umher und selbst das elektronische Beiwerk klassischer Drei-Akkord-Nummern zerrt wie bei dreckigen Garagenbands. Um nicht vollends auf der Feedback-Spur von Sonic Youth langzuschliddern, zündet man hin und wieder ein Lichtlein an und klagt heiser zur Wandergitarre, wie verkommen die Welt ist, in der Lügner mit White-Snake-Riffs als Sid Vicious durchgehen.
Dennoch klimpern noch in dieser Problemzone weißer Suburb-Kids ein paar ungelenke Elektronica-Melodien, als hätte jemand sein Handy im Probenkeller nicht abgeschaltet. Das alles hat sehr viel Methode, aber nur wenig Gespür fürs Melancholische. Statt dessen bilden das Outsider-Posing, die Kaputtheit von Texten über einsame Tellerwäscher und Mutters Armreif einen Schutzwall, hinter dem man den Frust austoben kann, zu spät für das wahre Beatnik-Leben geboren zu sein. Vielleicht fehlt Grandaddy aber auch bloß jene offenherzige Ironie, mit der sich Scott 4 an Klischees abarbeiten, ohne die eigene Obsession gleich mitzuvermarkten. Denn echte Fans können nicht irren.
Harald Fricke ‚/B‘ Scott 4: „Works Project LP“ (Folk Archive/V2) Grandaddy: „The Broken Down Comforter Collection“ (Big Cat/V2)
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