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Zwischen den RillenBombabombabombabomba

■ Gehört zum Sommer 95: 44 year old Jonathan Richman mit neuen 35 Minuten

Die Love Parade ist vorbei, ein paar schweißglänzende Gesichter lächeln noch in der Erinnerung. Es ist unglaublich heiß, und der Sommer gebärdet sich, als wäre es schon immer Sommer gewesen und als würde das nie aufhören. Die Fenster sind offen, und im Nebenraum läuft die neue CD von Jonathan Richman.

Es gibt nur wenige Sänger (und die sind dann oft verrückt, wie Daniel Johnston), bei denen die Sehnsucht nach dem einfachen Glück freundlich-frischer Teenagerideale so überzeugend wirkt wie bei Jonathan Richman. Inzwischen kann der mittlerweile 44jährige, der mit seinen Modern Lovers als glühender Velvet-Underground-Fan begann (zwei seiner Platten wurden später von John Cale produziert), auf eine seltsame Karriere zurückblicken. Unendlich viele Platten. Zwei, drei Hits – „Egyptian Reggae“, „Roadrunner“, „Ice Cream Man“ –, eine Hymne für Kunststudenten – „Pablo Picasso Was Never Called An Asshole“ –, viel Kindliches, in dem es von kleinen Insekten, Flugzeugen und Dinosauriern nur so wimmelt; „Give Paris One More Chance“, den „Hospital Song“ für die unglücklich Verliebten, selbst Antihippielieder wie „I'm Straight“. Musik, die man mit siebzehn ein bißchen zu kindlich fand, um sie mit dreißig dann plötzlich ganz großartig zu finden.

Die Musik von Jonathan Richman – Rhythm & Blues, Country, zwei LPs klangen auch ein bißchen nach Velvet Underground – ist so einfach wie die Dinge, die er mit seiner klaren, immer zum großen Staunen aufgelegten Stimme besingt: Jeans, Strand, Sonne und vor allem Liebe. Die Welt krankt an einem Mangel an Zärtlichkeit, sagt „your friend Jonathan Richman“, die Zuneigung sitzt in der Ecke und weiß nicht, was sie tun soll. Gegen die blöde West-Reklame („I'm Happy – Leave Me Alone“) ermuntert er sein Publikum, sich abzuküssen.

Während der Zugabe, bei einem seiner letzten Berliner Solokonzerte, wechselte der glückliche Großvater aller Lo-Fi-Stars irgendwann in den Sprechgesang und interviewte sich selbst: „Jonathan, before you go, there's one thing we want to know: When you sing this song ,Affection‘, are you telling all us here in Berlin that we're supposed now to hug and kiss everyone whether we want it or not? – Good question. No! – But what are you sayin'? – I just say, when you do feel like it, don't be afraid! – Is that all? – Yeah, that's all.“

Klasse!!! Schlußrefrain. Danach zogen alle dann glücklich nach Hause oder anderswo hin.

„You must ask the heart“ heißt die neue Jonathan-Richman-CD. 35 Minuten Trost für die Einsamen – „When the night has been too lonely / and the road has been so long / and you think, that love is only / for the lucky and the strong“ („The Rose“) – Lebenshilfe für die Eifersüchtigen („Let her go into the darkness“) und Glück für alle, die sich stimmungsmäßig noch nicht so entscheiden können. Alles ist total entspannt und angenehm und plätschert unkompliziert, unspektakulär und souverän so vorbei. Und dann noch mal. Und dann noch mal, bis daß die Musik zum Sommer 95 gehört. Barmusik, altersloser Rock 'n' Roll, Bossa Nova irgendwo, Country, ein Sam-Cooke-Stück („Nothing Can Change“).

Spontan, als wär' sie grad mal so vorbeigekommen, um mitzusingen, klingt Julia Sweeneys Stimme auf „Just Because I'm Irish“ – einem bei aller Fragilität extrem souveränen und schönen Duett mit „JoJo“.

Ganz seltsam erinnert die Orgel auf „Let Her Go Into The Darkness“ – einem kleinen Sommerhit, der es nicht nötig hat, zum wirklichen Sommerhit zu werden – an das Intro von einem tollen Hot-Chocolate-Klassiker („Brother Louie“).

A capella singt Jonathan Richman über „Walter Johnson“, den freundlichen Baseballspieler („He cared about people more than about fame – bombabombabombabombabom“), kann sich nicht so recht entscheiden, ob er's in der Stadt lieber mag als auf dem Land („City vs. Country“) und wechselt ein Stück lang ins Spanische („Amorcito Corazon“).

Jonathan Richman lächelt: über 27 geglückte Jahre im Popgeschäft oder über die Sonne, die grad so schön scheint. Aus dem linkischen, lustigen, immer jungen Popstar ist ein Entertainer geworden (vielen Großen – wie David Bowie zum Beispiel – ist das nie gelungen). Alles ist natürlich nicht klasse, aber alles ist trotzdem klasse! Detlef Kuhlbrodt

Jonathan Richman: „You Must Ask The Heart“. (Rounder/Zensor)

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