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Zwischen den RillenIn der Blubber-Badewanne

Extreme der Elektronika: Thomas Fehlmann und Michael Fakesch

Fehlmann wie Flow, fishy, flockig, flirrend, efemer. Thomas Fehlmann ist bekannt. Der Mann ist das, was man gemeinhin als umtriebig bezeichnet. Immer da, wo’s passiert, immer auf Ballhöhe. Nachdem er Anfang der 80er-Jahre mit Holger Hiller in Hamburg Palais Schaumburg – und damit auch ein bisschen die Neue Deutsche Welle – gegründet hatte, zog es ihn nach Berlin. House war gerade das neue Ding. Nächste Station: London. Stichwort: Rave, Acid, Techno. Und Fehlmann mittendrin. Zusammenarbeit mit Größen wie den Ambient-Poppern The Orb oder King Crimsons Robert Fripp.

Seit 1995 ist Fehlmann wieder in Berlin, wo er rund um den Tresor kräftig mitmischte. Hier entstand auch aus einem regelmäßigen Feature-Abend das Konzept für die wunderbare Radio-Eins-Show „Ocean Club“ mit Gudrun Gut, für die Fehlmann als Musik-Scout immer neue obskure Electronica aller Couleur heranschafft. Er rückte etwas in den Hintergrund – machte neben Radio ein paar Remixe, legte hin und wieder Platten auf, ein paar Tracks entstanden. Auf der letztjährigen Werkschau der Jahre 1990–98 „Good Fridge – Flowing – ninezeronineeight“ ist das alles nachzuhören.

Und jetzt also „one to three. Overflow; ninenine/nd.“. Ein neues Album von Fehlmann, aber alles andere als ein Neuanfang, sondern wieder eine Art Bestandsaufnahme: Eigene Tracks, Fehlmann-Remixe, Fehlmann geremixt. Und lauter übliche Verdächtige, alte Be- kannte wie Juan Atkins, Sun Electric oder Robert Fripp und neue Berliner Freunde wie To Rococo Rot haben mit an den Knöpfchen gedreht. Hier paaren sich krampfloser Eklektizismus mit einem eigenen kölnisch freundlichen Sounddesign. Hier regiert souveräne Trickyness mit vielen kleinen Überraschungen und großer Vertrautheit, durchweht von dem entspannten Geist des „Ocean Club“.

Zu dieser Musik kann man sich prächtig langweilen. Abhängen. Treiben lassen. In der großen runden Blubber-Badewanne, die Fehlmann für uns einlässt. Flauschige Bassdrums stupsen sanft an die Membranen, ambiente Flächen fiepen vorüber, Latin- und sogar Jazzflavours dringen in unsere Nase, und wir suhlen uns in dieser unwiderstehlichen Pre-Millennium-Schlaffheit. Weite Hallräume versetzen uns aus der Wanne ins weite Meer, und die Vocals des ersten Tracks haben es schon immer gewusst: „I want to be a little fishy ... ’cause it is so cool to be under the water.“

Fakesch wie funky, frickeln, Freundin, Funkstörung, fertrackt. Fakesch? Michael Fakesch kennt noch kaum jemand. Der Mittzwanziger aus dem südbayrischen Rosenheim macht das, was Musikjournalisten IDM (Intelligent Dance Music) nennen und hat gerade mit „Marion“ sein Debutalbum vorgelegt. Interviews wollte er zu „Marion“ keine geben. Es sei in den letzten Monaten schon genug über seine Band Funkstörung geschrieben worden, und außerdem wolle er lieber am nächsten Album arbeiten.

„Marion“ versammelt Tracks aus den letzten vier Jahren, von denen einige schon auf drei EPs veröffentlicht wurden. Während diese EPs auf Internet-Auktionen hoch gehandelt werden und Fakesch nicht unbeträchtlichen Insider-Ruhm eingebracht haben, ist sein Hauptprojekt „Funkstörung“ auch außerhalb von Kennerkreisen auf Aufmerksamkeit gestoßen. Ihr Albumerstling „Additional Productions“ (Studio!K7) sorgte letztes Jahr für breitere Anerkennung. Hier gab es ausschließlich Remix-Arbeiten zu hören, die das Rosenheimer Duo für so illustre Auftraggeber wie Björk oder den Wu-Tang-Clan angefertigt hatte. Der Name Funk-Störung sagt, wo’s lang geht: Ausgangspunkt für die Hightech-Beat-Science der beiden Elektronikfrickler sind funky Hiphop- und Breakbeats, die zahlreiche Brechungen, Verfremdungen und metrische Verschiebungen durchlaufen, mit Störgeräuschen und schlagzeugfremden Sounds angereichert werden und so einen hoch komplexen expressiven Charakter gewinnen.

Anders als Autechre oder Aphex Twin, die immer wieder als Vergleich herhalten müssen, haben Funkstörung ihre Wurzeln nicht im Techno oder House, und das hört man eben. „Wir sind anders wie die“, steht sinngemäß ausdrücklich im Promoinfo zu „Marion“, was zweifellos stimmt und womit via „wie“ auch die Herkunft noch einmal untermauert wäre.

Auf „Marion“ nun abstrahiert Fakesch noch weiter vom Hiphop, Pop-Bezüge fehlen ganz. Als kleiner Ohrenanker bleiben ein paar dürre, weltverlorene Synthielinien – „wunderschöne Melodien“, wie uns das Info sicherheitshalber wissen lässt. Sonst ist hier alles trocken, nüchtern, kratzbürstig, aber nicht kalt. Diese Music ist sicherlich Intelligent, aber Dance wohl kaum. Schon eher Zuck – die Beats stolpern, statt zu rollen. Macht aber gar nichts.

Fakesch hat „Marion“ Marion gewidmet, seiner Freundin. Eine Freundin, der man so eine Platte schenken kann, möchte man auch haben. Oder einen Freund natürlich. Diese Musik kann einem nämlich schnell auf die Nerven gehen. Hier schmeichelt sich nichts ein. Null Liebreiz sozusagen. Man muss richtig gut zuhören, um den Spaß zu haben, der in dieser aufregenden Platte drinsteckt.

Thomas Gläßer

Thomas Fehlmann: „one to three. Overflow; ninenine/nd.“ (R&S/Zomba) Michael Fakesch: „Marion“ (:musik aus strom/Zomba)

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