–Zwischen den Rillen: Soul fiction
Mann, Frau, Gott, Groove, Sex und der ganze Rest: Kelis und D’Angelo
Am liebsten mag sie Strickjacken, Glitterstiefel und Kolibris. Vermutlich trägt Kelis deshalb einen korkenzieherartig aufgeputzten Afro, in dessen schillernder Farbenpracht sich so ein Vogel spiegeln kann. Image ist zwar nicht alles, hilft aber weiter. Zumal in HipHop und R ’n’ B, wo sich silbergewandete Space-Girls wie TLC neben Mariah „Hot Pants“ Carey tummeln oder neben Whitney Houston, die ihr neues Outfit wiederum bei der erfolgreich auf urban nineties getrimmten Lauryn Hill abgeschaut hat. Trotzdem, irgendeine Differenz findet sich immer. Dieses Jahr sind es Kolibris. Oder ein heiseres „I hate you so much right now“ von Kelis, dem ein wütendes „aaaarrrggghhhh!!!“ folgt und ein Bataillon bewaffneter Hausfrauen, die zum Kampf gegen ihre Männer auf die Straße ziehen. Aber das ist schon aus dem Video, das seit einer Weile auf MTV rotiert.
Mit dem Song „Caught Out There“ hat die zwanzigjährige Kelis aus dem New Yorker Stadtteil Harlem in der Tat so eine Art Schlachtruf mit Message für black females herausgebracht – wenn du deinem Mann nicht trauen kannst, musst du ihn ordentlich treten. Über die Durchschlagskraft von „Caught Out There“ können sich aber auch Pharrell Williams und Chad Hugo freuen. Immerhin sind die beiden als Songwriter/Produzentenpaar dafür verantwortlich, dass Kelis in den Top 20 der US-Charts gelandet und nun nach Europa herübergeschwappt ist. Damit die Begeisterung auch auf dem Debütalbum „Kaleidoscope“ über Single-Länge hinaus anhält, haben sie reichlich gearbeitet: Ohne Samples, aber mit einer Vielzahl hübsch klingelnder Glöckchen und raffinierter Breaks und Beats ausgestattet, ist der Sound of Kelis ganz eigene Schule. Es raschelt, klirrt und klappert wie auf einem Kindergeburtstag, darunter schlufft allerdings ein Groove für die späten Stunden zu zweit. Bevor die Sache dann in explizite Seidenlakenfantasien abgleitet, macht es kurz Klick und das Geräusch eines entsicherten Revolvers holt einen zurück in die Nachbarschaft von Biggie, Puffy und Co.
Textlich geht man dabei einige Experimente ein: Lyric ist, wenn die Gedanken fließen. Dunkle Männerstimmen flüstern im Hintergrund „Wake up, bitch!“, während die junge Dame auf ihrem Diwan hingestreckt von psychedelischen Liebesräuschen träumt. Schnell verschieben sich die Ebenen zwischen UFOs, Science-Fiction und dem beherzten Slang der Straße. Und weil das Leben ohnehin bloß eine kurze Station auf der Reise durch Zeit und Raum ist, wickeln sich einem etwa in „Ghetto Children“ alle paar Taktschläge neue, in ihrer Knuffigkeit sehr himmlische Harmonien ums Hirn. Stets ist die Wirklichkeit für Kelis nur einen Abzählreim weit vom Paradies entfernt. Aus dieser aufbrausend ausgelebten Wirrheit lässt sich einiges an Energie ziehen dieses Jahr. Nina Hagen hat mit Kelis eine prima ausgeflippte Schwester bekommen.
Ein ganz anderer Fall ist dagegen D’Angelo. Er hat die Tiefschläge einer zwischen S/M und anderen Ekstasen pendelnden Gefühlswelt bereits 1995 auf „Brown Sugar“ besungen. Da war er auch 20 Jahre alt und hip wie zur Zeit Kelis. Es folgte eine Liaison mit der Sängerin Angie Stone (zwei Kinder) und eine Liebelei mit Lauryn Hill (ein Song, kein Hit). Geblieben ist D’Angelo am Ende die Erkenntnis, dass ein großer Musiker besser von großen Songs lebt. Man kennt diese Einsames-Genie-Nummer von Marvin Gaye oder Prince, die immer dann am ergreifendsten waren, wenn die Nacht am tiefsten war – von „What’s going on“ bis „Sign Of The Times“.
D’Angelos „Voodoo“ ist allerdings nicht dunkel oder düster gar, sondern schummerig beleuchtet. Ein paar Begleitmusiker treffen sich mit dem Sänger in irgendeinem entlegenen Club, ordnen kurz ihre Instrumente, D’Angelo klimpert ein paar Jazz-Akkorde auf der Schweineorgel, irgendwer bringt noch Trommeln oder einen Computer mit und – simsalabim – Punkt zwölf Uhr ist der Laden eben doch gerammelt voll, weil sich die Menschen da draußen alle so sehr dafür interessieren, wie es bei dem Menschen da drinnen aussieht. In der Seele oder im Herzen.
Auf diesem Wege hat D’Angelo schon von „Brown Sugar“ zwei Millionen Platten verkauft. Doch anders als Marvin Gaye oder Prince, seine erklärten und ständig in den Stücken durchklingenden Vorbilder, hat D’Angelo fünf Jahre lang Songs sortiert, damit das Hervorragende nicht zum Standard wird. Entsprechend hört sich „Voodoo“ wieder nach großem Wurf, Meisterwerk oder von mir aus auch voll okayem Soul an. Der Mann singt dermaßen aufgewühlt von Demut und Offenheit in Liebesdingen, als wäre Sex eine Glaubensfrage. Selbst wenn er Roberta Flacks Kuschelhymne aus den Siebzigerjahren, also „Feel like making love“, nachspielt, covert er diese Liebe nicht, sondern macht Liebe. Nur eben nicht auf die schnöde Tour, zwischen Mann und Frau und all den anderen Spielarten, die in diese Rubrik fallen.
Tatsächlich meint D’Angelo den Herrn da oben, der für ihn immer ein bisschen mittut, wenn es Paare miteinander tun. Dazu hat er im Booklet die schöne Formulierung gefunden, dass Musik art ist, wie im biblischen Sinne von „Thou art God“. Der Künstler ist für D’Angelo dazwischen – hier du Mensch, dort der im Himmel. Und mittendrin Musik. Als Wille, Vorstellung und Voodoo. Irgendwer muss es ja für uns tun.
Harald Fricke
Kelis: „Kaleidoscope“ (Virgin) D’Angelo: „Voodoo“ (EMI)
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