: Zwischen Kunst und künstlich
■ „Jazzfest Sulingen“: souveräne Standards, angestrengte Improvisationen und ein frühzeitig ermattetes Publikum
So recht zufrieden ist wohl niemand mit dem diesjährigen Jazzfest des kleinen niedersächsischen Städtchens Sulingen. Zu durchwachsen war das Programm: Es bot eine Enttäuschung, ein begeisterndes Set und eine späten Stunde voll allzu angestrengter und anstrengender Improvisationen, die das Publikum bei aller Qualität eher ermüdeten als erfreuten.
So wirkte das diesjährige Festival merkwürdig zerfasert. In den beiden letzten Jahren hatten sich die verschiedenen Auftritte schön zu einem Ganzen gefügt. Im ersten Jahr zum Beispiel wurde das Publikum nach einer schwachen Eröffnung durch ein grandioses Finale versöhnt. Es war diesmal sicher keine gute Entscheidung des Veranstalters Thomas Proff, den Höhepunkt des Abends in der Mitte zu plazieren. Nach dem herausragenden John Surman Quartett hätte es auch eine gefälligere Formation als das Trio Ullman/Willers/Haynes schwer gehabt, nochmal die volle Aufmerksamkeit des Publikums zu erringen.
Der Abend begann mit dem irritierenden Auftritt der Sängerin Celine Rudolph, die sich bei jedem einzelnen Stück ihres Sets mehr vorgenommen hatte, als sie dann schließlich auf der Bühne bewältigen konnte. Die junge Musikerin war zwar wegen einer Erkältung sicher nicht ganz auf der Höhe, aber man merkte trotzdem, daß in dem gesamten Konzept des Auftritts der Wurm saß: Jedes Stück war vollgestopft mit ambitionierten Virtuositäten, die sich als bemüht wirkende Vokalverrenkungen entpuppten. Man hatte das Gefühl, eine junge Musikerin zu erleben, die schon wußte, was sie wollte – aber noch nicht, was sie konnte.
Für den Auftritt des John Surman Quartets hat sich der Weg nach Sulingen dann aber doch allemal gelohnt. Die souveräne Leichtigkeit, mit der die vier alten Hasen zwischen Stilen und Stimmungen wechselten, die perfekte Abstimmung der Musiker, mit der sie tatsächlich „einige Stücke komponieren, während wir spielen“ (so Surman in seiner Ansage) – all das machte diese Stunde zu einem Genuß, der selbst durch das verstimmte Klavier oder den zu leise abgemischten Baß nicht geschmälert wurde.
Vielleicht spielten der Saxophonist Gebhard Ullman, der Gitarrist Andreas Willers und der Schlagzeuger Phil Haynes ja auf einem ähnlich hohen Niveau wie die vier Briten – aber weil sie zum falschen Zeitpunkt musizierten, ist dies fast nebensächlich. Um 23 Uhr und nach dem Surman-Set war das Pubikum müde und die drei Musiker spielten so hermetisch und selbstvergessen, daß sie den Festivalgästen keine Chance ließen, sich in ihr Spiel einzufühlen. Ihre hochartifiziellen Improvisationen wirkten im Saal wie kalte, fast abstrakte Kunst, die man zwar bewundern, aber nicht wirklich genießen kann. Früher am Abend und vor einem frischeren Publikum hätte das Trio vielleicht eine Chance gehabt, aber so beschloß es das Fest mit einem schlechten Nachgeschmack.
Willy Taub
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