: Zwischen Krieg und Frieden
2002 dirigierte Mstislav Rostropovich Benjamin Brittens „War Requiem“ in der NS-Raketenfabrik Peenemünde. Jörg Herrmanns eindrucksvoller Dokumentarfilm läuft am Samstag in 3sat (20.15 Uhr)
von MATTHIAS SCHÜMANN
Das erhabene Schauspiel eines Raketenstarts wird zur Farce, wenn der plumpe Flugkörper lediglich ein paar Meter abhebt, um dann wieder zu Boden zu fallen und zu zerspringen. Ein wenig Schadenfreude empfindet der, der weiß, dass es sich um den missglückten Start einer „V 2“ handelt, jener „Vergeltungswaffe“, die Wernher von Braun Anfang der 40er-Jahre in der „Heeresversuchsanstalt“ im vorpommerschen Peenemünde für den NS-Staat entwickelte.
Der Rostocker Filmemacher Jörg Herrmann verwendet etliche historische Aufnahmen derartiger Fehlstarts in seiner Dokumentation „War Requiem in Peenemünde“. Vor knapp einem Jahr wurde Benjamin Brittens „War Requiem“ unter der Leitung von Mstislav Rostropovich in Peenemünde aufgeführt. Herrmann war mit sieben Kameras dabei und filmte Proben, Aufführung und die morbide Szenerie des ehemaligen Versuchsgeländes.
Die einzige Passage, in der Herrmanns Film seinen Gegenstand dominiert, ist die der missglückten Starts: Da explodiert ein Testmodell nach dem anderen, hoch in der Luft oder ohne sich einen Millimeter vom Fleck zu bewegen. Alles im Rhythmus der Musik. Herrmanns Aufnahmen des langsam einschneienden Geländes voller toter Bäume und geborstenen Betons verursachen in Verbindung mit Brittens Musik ein Gefühl der Beunruhigung.
Verstärkt wird dies durch eine adrette alte Dame, die in der Manier Leni Riefenstahls von ihrer Zeit in Peenemünde berichtet: „Es war schön hier“, erinnert sich Auguste E. Friede, ab 1940 Wernher von Brauns Sekretärin. „Ich persönlich hätte mir keine schönere Jugend vorstellen können.“ Über den Zweck der V 2 habe sie nicht nachgedacht. „Es wurde eben gearbeitet. Die Entwicklung musste weitergehen.“
Der Film vermag die Wucht des Konzerts in der riesigen Halle des stillgelegten Peenemünder Kraftwerks nicht zu reproduzieren. Dennoch lässt er die Wirkung ahnen, die sich im Zusammenspiel der drei Solisten, zwei Orchester und vier Chöre entfaltete. Mehr als 250 Musiker befanden sich auf der Bühne, im Mittelpunkt der äußerlich eher unauffällige Mstislav Rostropovich.
Kaum ein Dirigent eignete sich besser für die Aufführung des 1961 entstandenen „War Requiem“. Denn der Russe hatte nicht nur das Leid des Krieges, das die Komposition thematisiert, selbst erfahren. Er kannte auch Benjamin Britten (1913 bis 1976), der die Sopranpassagen eigens für die Stimme von Rostropovichs Ehefrau, Galina Vishnevskaya, komponierte. Diese tiefe Verbundenheit ist selbst im Film zu spüren.
Als die Musik verklungen ist, steht Rostropovich minutenlang stumm vor den Musikern. Die Hände vor der Brust gekreuzt.