: Zwischen Bonn und Prag wird gepokert
Zäh zieht sich der Verhandlungspoker schon seit Monaten dahin. Doch ein Durchbruch bei den Gesprächen zur Bereinigung des deutsch- tschechischen Verhältnisses ist noch nicht in Sicht. Zu konträr sind die Positionen, und zu viele widersprüchliche Interessen stehen auf dem Spiel, wenn sich der stellvertretende tschechische Außenminister Vondra und der deutsche Staatssekretär Hartmann zu ihren Verhandlungen treffen. Auch die verhängte Nachrichtensperre kann die Dissonanzen nur schlecht verschleiern.
Dem Beharren der bundesdeutschen Seite auf dem Heimat- und Eigentumsrecht der sudetendeutschen Vertriebenen setzt der tschechische Regierungschef Klaus einen „Schlußstrich unter die Vergangenheit“ entgegen.
Dies ist für die Vertriebenenverbände und ihre Protegés, allen voran die bayerische Staatsregierung mit Ministerpräsident Edmund Stoiber an der Spitze, ein rotes Tuch. Stoiber klagt den „Mut zur historischen Wahrheit“ ein und hält es für nicht akzeptabel, die sudetendeutsche Frage „mit einem Federstrich zu erledigen“. „Beschwörungen der historischen Wahrheit meinen zu oft immer nur die eigenen Wahrheiten“, bemerkte dazu der tschechische Außenminister Josef Zieleniec.
Ministerpräsident Stoiber bringt auch die von Prag angestrebte Mitgliedschaft in der Europäischen Union ins Spiel. Ein Beitritt der Tschechischen Republik sei nur dann möglich, wenn diese sich von den Beneš-Dekreten, die die Vertreibung geregelt haben, distanziere.
Ein Junktim ganz anderer Art hat Bundesaußenminister Klaus Kinkel parat: Keine Entschädigung für die tschechischen NS-Opfer ohne Anerkennung der Rechte für die Vertriebenen.
Die tschechische Seite fühlt sich damit unter Druck gesetzt. Die Zeit drängt, schließlich stehen 1996 die Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union an, von der sich Tschechien eine wirtschaftliche Stabilisierung verspricht. Innenpolitisch kann man eine Ungültigerklärung der Beneš-Dekrete und die von Präsident Havel geforderte Anerkennung des Unrechts der Vertreibung kaum durchsetzen, eine Entschädigung der Vertriebenen ist sowieso nicht machbar.
Auch die deutsche Seite sieht sich wachsendem Druck von seiten Bayerns und der Sudetendeutschen ausgesetzt. Die Vertriebenen führen ins Feld, daß sie im Falle einer offiziellen Verzichtserklärung von Bonn auf die Ansprüche der Vertriebenen ja den Bund regreßpflichtig machen könnten. Um ihre Verhandlungsposition nicht zu schwächen, versucht die Sudetendeutsche Landsmannschaft ihre verschiedenen Gesinnungsgemeinschaften unter einen Hut zu bringen. Auch der rechtslastige Witiko-Bund, der selbst die „Grenzfrage“ offenhalten will, ist Teil dieses kleinsten gemeinsamen Nenners.
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