Zweiteiliger Russland-Thriller: So eitel wie blöd
Die Eröffnungssequenz des ARD-Doppel-Spielfilms "Russisch Roulette" (2./3. Januar, 20.15 Uhr, ARD) ist sehenswert. Das wars dann aber auch.
Der Vorspann sieht schon nicht schlecht aus. Viel ambitionierter als bei deutschen Fernsehfilmen üblich. Aufsicht auf ein Roulette-Spiel. Die Kugel rollt. In der linken Bildhälfte ist da plötzlich ein schwarzer Balken, wird breiter, teilt das Bild. Nun sind da zwei verschiedene Bilder auf beiden Seiten des Balkens, Detailaufnahmen vom Spieltisch. Dann sind da immer mehr Bilder vor schwarzem Hintergrund. Ein Revolver, der geladen wird, an der Schläfe eines Mannes.
Immer schneller geht das, öffnen sich die Fenster, schieben sich von der Seite ins Bild. Split Screen heißt die Technik und war in den Sechzigern eine kurze Zeitlang sehr en vogue. Der berühmteste Split-Screen-Film ist "The Thomas Crown Affair" von Norman Jewison. Der aber hat den Vorspann gar nicht selbst gemacht, das war vielmehr Pablo Ferro. Denn in Hollywood hat man damals schon spezielle Motion-Designer eingesetzt – Spezialisten nur für einen richtig gut aussehenden Vorspann.
Saul Bass hat die Vorspänne für Hitchcock gestaltet, Maurice Binder für die James-Bond-Filme. Im deutschen Fernsehen ist natürlich alles eine Nummer kleiner, da besorgen die Regisseure ihre Vorspänne noch selbst. Immerhin verzeichnen die Credits von "Russisch Roulette" für Joseph Vilsmaier: "Regie und Bildgestaltung".
Dabei ist "Bildgestaltung" nicht gleichbedeutend mit "Kamera", dafür wird ein anderer genannt. Obwohl Vilsmaier eigentlich gelernter Kameramann ist und erst 1988, mit "Herbstmilch", ins Regiefach wechselte. Er hat sich von da an als Spezialist für Heimat-/Historienfilme etabliert: "Schlafes Bruder", "Comedian Harmonists", "Die Geschichte vom Brandner Kaspar".
Wahrscheinlich nur ein Brotjob
Ein TV-Thriller-Zweiteiler ist für Vilsmaier wahrscheinlich nur ein Brotjob. Da muss man ihn wirklich für den ambitionierten Vorspann loben, sehr hübsche "Bildgestaltung" ist das. Aber eben auch nur ein Minütchen von insgesamt knapp 180 Minuten. Und die sind nicht mehr ganz so beeindruckend.
Katharina Böhm ("Das Erbe der Guldenburgs") spielt Katherina Wagner. Die gerät, kaum ist sie in St. Petersburg angekommen, in einen schlimmen Schlamassel: "Ich wollte meinem Sohn doch nur das Grab seines Vaters zeigen. Und dann verschwindet mein Kind, ein Mann wird erschossen und ich muss mich verstecken und ich habe keine Ahnung warum."
Der Zuschauer hat lange auch keine Ahnung – die immanenten Gesetze des Thriller-Genres sehen das so vor. Und wenn es endlich mal eine Erklärung gibt, dann muss die natürlich möglichst mysteriös sein: "Sie sind die weiße Dame, wissen Sie das nicht?" Oder: "Sie verstreuten sich in alle Winde. Aber es gibt sie noch. Mitten unter uns. Ihr Zeichen ist der Skorpion."
Die Skorpion-Typen sind also die Bösen – Geheimbündler, Verschwörer. Zum Glück sind sie so eitel/blöd, dass sie sich Skorpione eintätowieren oder ihren Gehstock damit verzieren lassen. Und zum Glück gibt es auch einen Guten, einen Schutzengel, der immer genau dann auftaucht, wenn Katherina ihn braucht.
"Warum tun Sie das alles? Wer sind Sie eigentlich?", will sie naheliegender Weise wissen. "Zwei Fragen, eine Antwort. Ich heiße Adam Markowski, bin Pole und Menschenfreund." Der wird gespielt von Heinz Hoenig ("Stan Becker – Auf eigene Faust"). Und Hoenig trägt so dick auf, dass es zwar nicht sehr realistisch, aber gleichwohl, gerade deshalb, eine Freude ist.
Herrlich, wie er mit seinem klapprigen Kleinbus durch die Stadt heizt und – ansonsten tadelloses Hochdeutsch sprechend – den Namen "Katherina" in einer Weise intoniert, die Hoenig wohl für irgendwie slawisch hält. Sein Spiel ermöglicht es einem, den Film nicht so ernst zu nehmen wie er ganz sicher gemeint ist. Man könnte natürlich auch einfach – den Vorspann gucken und dann abschalten.
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