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Archiv-Artikel

Zweifel an Pieps’ Stimme

Entscheidendes Gutachten im Prozess um den Überfall auf Ermyas M.: Der Angeklagte könnte der Täter mit der Fistelstimme sein – oder auch nicht

AUS POTSDAM ASTRID GEISLER

Es dürfte der letzte wichtige Baustein für das Urteil gewesen sein: Im Prozess um den Überfall auf den Deutschäthiopier Ermyas M. am Ostersonntag 2006 sagte gestern eine Stimmgutachterin vor dem Potsdamer Landgericht aus. Sie sollte bewerten: Ist es der Hauptangeklagte Björn L., Spitzname „Pieps“, den man auf einem Mailboxmitschnitt des Überfalls hört – oder spricht darauf ein anderer Mann mit außergewöhnlich piepsiger Stimme?

Das Ergebnis der Expertin vom Landeskriminalamt Brandenburg dürfte den Richtern ihre Entscheidung kaum leichter machen. Denn nach Einschätzung der Sachverständigen Cornelia D. lässt sich diese Frage nicht zweifelsfrei beantworten.

Die Stimme von Björn L. sei „mit Wahrscheinlichkeit“ jene des Täters, den man auf der Handymailbox der Frau des Opfers hört, sagte die Gutachterin. Auf einer siebenstufigen Skala, die von „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ bis „kann nicht beurteilt werden“ reicht, entspricht dies der dritten Wahrscheinlichkeitsstufe, liegt also knapp unter dem Mittel.

Der Doktorand Ermyas M. war in Potsdam zusammengeschlagen worden. Während des Überfalls rief er seine Frau an. Ihr Telefon zeichnete ein Wortgefecht mit den Tätern auf.

Für das Gutachten hatte die Sachverständige mehrere Stimmproben des Angeklagten und anderer Personen mit der Handyaufzeichnung verglichen. Dabei stellte sie bemerkenswerte Gemeinsamkeiten fest: Der Angeklagte habe für einen Mann eine ungewöhnlich hohe und variable Stimme – genau wie die Person auf der Mailbox, erläuterte die studierte Sprechwissenschaftlerin. Eine solche Piepsstimme sei ihr selbst „aus der Fachliteratur nicht bekannt“. Keine Stimmeigenschaft spreche gegen den 30-Jährigen. Nur sei die Tonqualität der Aufzeichnung aus der Tatnacht so schlecht, dass einige Analysen kaum möglich gewesen seien. Dies mache eine zweifelsfreie Identifizierung unmöglich.

Kann das Gericht einen Schuldspruch auf ein solches Ergebnis stützen? „Nein“, sagte gestern nach der Verhandlung auch Rechtsanwalt Thomas Zippel, der Ermyas M. vor Gericht vertritt: „Allein, ohne andere belastbare Beweismittel, reicht das nicht.“ Die entscheidende Frage sei nun: Gibt es genug andere Indizien? Dazu wollte sich der Jurist gestern nicht äußern. Klar scheint nach dem gestrigen Verhandlungstag immerhin: Der Polizist Mario D., der durch eine von Unbekannten an die Verteidigung geschickte CD-ROM belastet worden war, kommt nach Ansicht der Gutachterin als Täter kaum in Frage. Das Gericht will sein Urteil Anfang Juni verkünden.