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Zwei lesbische Omas

■ Gesichter der Großstadt: Doli Hilbert / Die 75jährige Bildhauerin, die sich wie nur wenige ihrer Generation zu ihrem Lesbisch-Sein bekennt, erhielt den Frauenpreis von Berlin

Zum 75. Geburtstag bekam sie von ihren Freundinnen ein Trampolin geschenkt. Das würde zu Doli Hilbert passen, wäre da nicht ihre Gehbehinderung. So steht das kleine, runde Trampolin nach einigen Probesprüngen ungenutzt zwischen den Tonskulpturen der Künstlerin herum. „Ich werde es wohl weggeben müssen“, sagt sie bedauernd.

Die Frau, die in der vergangenen Woche wegen ihres Engagements für Behinderte mit dem Berliner Frauenpreis geehrt wurde, ist eine erklärte Nonkonformistin. Vor kurzem stand sie mit einer Theatergruppe lesbischer und schwuler Behinderter bei der „Queer Party“ im SO 36 auf der Bühne. „Das war einer der Höhepunkte meines Lebens“, sagt sie begeistert und holt sofort die Fotos des Happenings raus. Eine wild kostümierte Truppe persiflierte „eine Reise nach Lourdes“. Statt mit der Heilung der körperlichen Gebrechen endete diese jedoch damit, daß sich zwei heterosexuelle Paare zu gleichgeschlechtlichen Pärchen umgruppierten, nachdem sie aus der Quelle getrunken hatten. Auf dem Gruppenbild, das nach dem Auftritt entstand, trägt eine weiß geschminkte Doli Hilbert mit kühner Geste ihre nackten Brüste auf den Händen.

Zur Kunst kam die gebürtige Berlinerin auf Umwegen. Ihr Vater, der mit fünf Mark in der Tasche aus seinem Kreuzberger Elternhaus fortging und sich zum Ingenieur hocharbeitete, ermutigte sie, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Doch sie begann zunächst eine Ausbildung als Sozialarbeiterin – aus Protest gegen die väterlichen Pläne, aber auch, weil sie nicht gut zeichnen konnte. Erst später sollte sie ihr Talent für die Bildhauerei entdecken. Die Sozialarbeit war ohnehin nicht ihr Fall: „Ich kann nicht morgens um acht auf der Matte stehen.“ Nach dem Krieg belegte sie zunächst Kurse in Aktzeichnen, später dann ging sie an die Kunstschule in Halle. Doch ihren Wunsch, die Bildhauerklasse zu belegen, redete ihr ein Professor mit folgenden Worten aus: „Wenn Ihr Mann aus der Gefangenschaft kommt, dann können Sie mit Keramik doch viel mehr anfangen.“ Die Äußerung, die wohl einem gewissen ökonomischen Pragmatismus entsprang, war für Doli Hilbert „das Urteil, daß ich nichts kann“.

Es mag an der mangelnden Anerkennung liegen oder an der verflixten weiblichen Bescheidenheit, daß sie sagt: „Das hochgestochene Künstlertum habe ich immer abgelehnt. Eine solche Karriere wollte ich nie machen.“ Sie zweifelt, ob sie die Energie gehabt hätte, sich durchzuboxen. Dabei hatte sie schon als Kind geradezu intuitiv die Emanzipation entdeckt. „Meine Mutter habe ich verachtet, weil sie sich von meinem Vater unterdrücken ließ.“ Doch bei Tante Adele, der unverheirateten, dominanten Schwester der Mutter, die in der Dachwohnung lebte, da war sie gerne.

„Ich bin in einem Weiberhaushalt groß geworden. Jetzt, wo ich am anderen Ufer gelandet bin, denke ich, daß dies die Wurzeln sind.“ Immer waren es Frauen, die ihrem Leben wichtige Impulse gaben. Hätte ihr die Schriftstellerin Maria Blumenthal nicht das Fahrgeld für die Aufnahmeprüfung in Halle geschenkt, wäre sie vielleicht nie Künstlerin geworden. Auch den Weg zum anderen Ufer fand sie erst nach langen Umwegen. „Es gab überall Frauen, die ich geschätzt habe, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß da Erotik oder Sexualität ins Spiel kommen könnten.“ Die Ehe hat sie immer abgelehnt. 1943 hat sie einen Cousin nur geheiratet, um ihrer Dienstverpflichtung zu entgehen.

„Das Wort“ hörte sie 1945 zum ersten Mal. Während des Krieges lebte sie in Nauen und lernte dort die Gattin eines Bankdirektors kennen. Eines Tages brachte ihr die Mutter von zwei Söhnen Blumen mit und küßte sie auf den Mund. Es blieb bei einer platonischen Liebe, aber als sich Doli Hilbert 1945 um eine Stelle in einem Berliner Krankenhaus bewarb, rutschte ihr der Satz raus: „Ich komme von dieser Frau nicht los.“ „Sind sie lesbisch?“ fragte die Ärztin sie daraufhin ganz direkt. Spontan antwortete Doli Hilbert mit „nein“, aber auf dem Weg nach Hause dachte sie: „Also das ist es!“

Die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihr Coming-out zur Kenntnis nahm, führt sie darauf zurück, daß sie immer schon in Künstlerkreisen verkehrte und Homosexualität dort akzeptiert war. „Andere Frauen, die in dieser Zeit ihr Lesbisch-Sein entdeckten, haben an Selbstmord gedacht.“

Als ihr Mann aus der Gefangenschaft kam und von Trennung nichts wissen wollte, blieb sie aus Loyalität bei ihm. An seiner Seite zog sie drei Kinder auf. 1971 trennten sie sich schließlich.

Für Doli Hilbert begann ein neues Leben. Sie lernte Bildhauerei und baute eine Töpferwerkstatt für die BewohnerInnen eines Behindertenhauses in Lankwitz auf. Hier entstanden ihre Tonskulpturen, Frauenfiguren mit weichen Rundungen und abstrakte Gebilde. Durch die Galerie „Andere Zeichen“ kam Doli Hilbert Ende der 70er Jahre mit der Frauenbewegung in Berührung; dabei lernte sie ihre erste Freundin kennen. Die Sechzigjährige muß damals alle bezaubert haben. „Ach du bist die Doli, in die sich alle verliebt haben“, sagte eine Frau mal zu ihr.

Doli Hilbert kann allerdings auch ganz rabiat sein. Pöbelnden Fußballfans, die bei einer Christopher-Street-Demonstration den Ku'damm säumten, schmiß sie vom Festwagen der Lesbenberatung kurzerhand Bonbons an den Kopf.

Es gibt nur wenige Frauen ihrer Generation, die so offen mit ihrem Lesbisch-Sein umgehen und sich zudem in der Szene engagieren. Sie hat 1989 das Lesbenprojekt „Rad und Tat“ mit aufgebaut, eine Begegnungsstätte für behinderte und nichtbehinderte Frauen.

Wie sie mit den jungen Frauen klarkommt? „Besser als mit denen meiner Generation.“ Und das scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Ihre 14jährige Enkelin erklärte vor kurzem: „Am liebsten hätte ich zwei lesbische Omas!“ Dorothee Winden

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