: Zwei auf der Flucht nach vorn
aus Berlin JENS KÖNIG
Kann man Politikern, die in ihrer Karriere noch fast alles inszeniert haben, ihre Siege, ihre Ehen, ihre Politik, kann man ihnen abkaufen, dass sie eine Entscheidung treffen, weil sie sich ihrem Amt, ihrer Partei oder gar dem Wohle ihres Landes verpflichtet fühlen? Ist es vorstellbar, dass so große Egomanen wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer bei ihrer Entscheidung, 2006 noch mal gemeinsam als rot-grünes Spitzenduo anzutreten, ausnahmsweise nicht an sich und ihr Bild in den Geschichtsbüchern gedacht haben?
Andererseits: Wenn das Bekenntnis von Joschka Fischer stimmt, dass die Verwandlung des Amtes durch den Menschen etwas länger dauert als die Verwandlung des Menschen durch das Amt, warum sollten dann ausgerechnet der Kanzler und sein Außenminister Ausnahmen sein? Schon vor der letzten Bundestagswahl konnte man am Bundeskanzler doch eine erstaunliche Veränderung beobachten. Zu besichtigen war in jenem Sommer 2002 ein Mann, der von ganz unten, aus armen Verhältnissen, gekommen und ganz oben, im Kanzleramt, gelandet war, der aber erst jetzt richtig zu begreifen schien, welche Verantwortung er da übernommen hatte. Schröder erzählte damals oft davon, welche Verpflichtungen es mit sich bringt, Vorsitzender einer Partei zu sein, die 140 Jahre alt ist, und wie es sich anfühlt, wenn sich da alle Hoffnungen und Enttäuschungen auf eine einzige Person konzentrieren. „Kanzler zu sein, das ist etwas Großes“, sagte Schröder dann. „Aber SPD-Vorsitzender, das ist etwas Historisches.“
Man muss vielleicht an diese Verwandlung des einstigen Parteirebellen Gerhard Schröder erinnern, um zu verstehen, warum er sich irgendwann in diesem Frühsommer 2003 zu der Entscheidung durchgerungen hat, 2006 noch einmal um das Amt des Bundeskanzlers zu kämpfen. Es ist ja nicht so, dass Schröder nicht wüsste, dass es in dieser Turborepublik Deutschland fast schon einem historischen Vorgriff gleicht, heute zu entscheiden, was in drei Jahren passieren soll. Mal abgesehen davon, dass der Kanzler das Versprechen abgegeben hatte, länger als acht Jahre nun auf gar keinen Fall regieren zu wollen.
Dieses Versprechen hätte Schröder dieses Frühjahr auch liebend gern eingehalten, glaubt man den Berichten seiner Zuträger. Er hätte keine Lust mehr auf seinen Job gehabt, erzählen sie. Seine Regierung hatte ihren Start völlig vergeigt, die SPD rebellierte offen gegen seine Agenda 2010, die Gewerkschaften machten Ärger, es drohten 5 Millionen Arbeitslose. Doch Schröder biss sich durch. Hatte er nicht gerade erst bei der Bundestagswahl allen – Stoiber, den Zweiflern in der eigenen Partei, der Journaille sowieso – gezeigt, dass mit ihm bis zur letzten Minute zu rechnen ist? Hatte er nicht sogar dem amerikanischen Präsidenten beim Irakkrieg widerstanden?
Schröder ließ den Konsenskanzler hinter sich. Er probierte den Durchmarsch – und gewann. Er setzte die Agenda 2010 in seiner Partei durch, und er überzeugte die Öffentlichkeit. Er, der es vorher jahrelang abgestritten hatte, war plötzlich selbst davon überzeugt, dass es zu harten sozialpolitischen Reformen keine Alternative gibt. „Wir müssen das machen, selbst wenn wir dafür nicht wiedergewählt werden“, sagte er auf einmal.
Natürlich ist das bei Gerhard Schröder nur die halbe Wahrheit, natürlich will und braucht er den persönlichen Erfolg. Aber erst diese Mischung aus allem – das Gefühl, es niemandem mehr beweisen zu müssen, seine unanfechtbare Stellung als Kanzler und SPD-Vorsitzender, die Überzeugung, jetzt endlich die richtige Politik zu machen – hat den Ausschlag dafür gegeben, dass er für sich entschied, 2006 noch mal als Kanzlerkandidat anzutreten. Er wird gehofft haben, seiner eigenen Partei, die über den chaotischen Regierungsalltag in diesem Sommer schon wieder am großen Ganzen zu zweifeln beginnt, eine Perspektive aufzuzeigen. Und als gewiefter Taktiker hat Schröder nicht zuletzt an die führungslose Union gedacht.
Schröder ist in diesem Frühsommer aber auch klar geworden, so erzählen seine Vertrauten, dass der Anspruch der rot-grünen Regierung, mit ihrer Politik ein ganzes Jahrzehnt zu prägen, nicht ohne den Herrscher über die Grünen, Joschka Fischer, einzulösen sein würde. Schröder hat das zum wiederholten Male erfahren, als er Fischer Anfang Mai zum geeigneten Kandidaten für das Amt des EU-Außenministers ausrief. Kein anderes Ereignis davor und danach hat so deutlich gemacht, wie ausgebrannt die rot-grüne Regierung inhaltlich ist und wie wenige charismatische Politiker sie besitzt.
Dass da zwei große Jungs in Sandkastenmanier Weltpolitik betreiben, mag ihr Ausnahmetalent unterstreichen. Aber dieses Talent haben sie beide auch immer auf Kosten ihrer Parteien entfaltet. Jetzt ist plötzlich kein anderer ihres Formats mehr da.
Das wissen beide. So ist es Schröder in mehreren Gesprächen vor der Sommerpause auch gelungen, seinen Außenminister davon zu überzeugen, nicht weiter auf den Posten des EU-Außenministers zu setzen und mit ihm gemeinsam 2006 noch mal in die Schlacht zu ziehen. Gerhard und Joschka gegen den Rest der Welt. Die letzte, alles entscheidende Unterredung soll sogar erst am Donnerstag stattgefunden haben. Natürlich erzählen Fischers Vertraute jetzt, ihr Chef habe seine Entscheidung nur aus innenpolitischen Gründen getroffen. Er sei, wie Schröder, überzeugt davon, dass die innenpolitischen Reformen nur mit Rot-Grün fortzusetzen seien. Außerdem habe er befürchtet, dass nach seinem Abgang Richtung Brüssel bei den Grünen langwierige Diadochenkämpfe um die Führung in der Partei ausbrechen würden.
Allerdings haben die gleichen Vertrauten noch vor vier Wochen erzählt, Fischers Chancen auf den EU-Außenministerposten seien wegen der komplizierten Gemengelage in Brüssel eher schlechter als besser geworden. Wird hier eine verpasste Karrierechance einfach zum Opfergang für Partei und Vaterland umgedeutet? Oder ist es gar Fischers letzter taktischer Schachzug, um das Amt 2006 doch noch zu bekommen? Letzteres halten die Grünen für ausgeschlossen. „Wir könnten keinen überzeugenden Wahlkampf führen, wenn man unserem Spitzenkandidaten unterstellte, er wolle sowieso nur nach Brüssel“, sagt einer aus der grünen Führung.
Ohnehin schwant den Grünen, dass die Diadochenkämpfe, vor denen sie Fischer angeblich bewahren will, jetzt erst recht ausbrechen. Vorige Woche gab ein Spitzengrüner einen Satz von sich, den fast jeder in der Parteiführung unterschrieben hätte: „Wenn Fischer geht, haben wir ein Problem. Wenn er bleibt, haben wir auch ein Problem.“ Die Grünen sind der Dominanz ihres Patriarchen längst überdrüssig.
Die Älteren wie Jürgen Trittin, Renate Künast und Fritz Kuhn haben sich monatelang beim Kampf um die Fischer-Nachfolge beharkt. Trittin und Künast können jetzt Minister bleiben. Aber was wird mit Kuhn, den nicht alle in der Partei lieben, von dem aber viele sagen, der Exparteichef müsse zurück in die erste Reihe? Die Jüngeren wie Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt reden intern ganz offen davon, dass Fischer als grüner Verbindungsmann zu Schröder nicht unersetzbar ist. Die Kontakte ins Kanzleramt seien auch ohne ihn gut. Und die liberalen Wirtschaftspolitiker stören sich sowieso schon lange daran, dass Fischer als ideeller Gesamt-Rot-Grüner auftritt. „Wenn Fischer weg ist, werden wir weniger sozialdemokratisch“, behauptet Antje Hermenau, die haushaltspolitische Sprecherin.
Ein anderer führender Grüner sagt es so: „Die Partei darf nicht auf Fischer-Grün schrumpfen.“ Jetzt, wo Fischer bleibe, fügt er hinzu, sei das eben „eine Operation am offenen Herzen“.