: Zwei Sozis in einem Boot
Aber Labour-Chef Blair stellt Lafontaine in den Schatten ■ Aus Bonn Markus Franz
Oskar Lafontaine wird immer zappeliger. Wo bleibt denn der Blair? Über eine halbe Stunde steht er nun schon am Bootsanleger Bundeshaus, wo es längst den Rhein hoch nach Bad Honnef gehen sollte. Er reckt den Kopf, wenn sich jemand nähert, tritt von einem Fuß auf den anderen. Aber Tony Blair, der britische Oppositionsführer überzieht die Zeit beim Bundeskanzler. Oder hält ihn etwa Helmut Kohl aus purer Bosheit zurück, um Oskar Lafontaine warten zu lassen? Füllt ihn bedächtig ab mit Pfälzer Wein und Saumagen – nur damit der Oskar sieht, daß die geplante Bootchenfahrt mit dem deutschen Oppositionsführer einem künftigen englischen Premier nicht so wichtig ist?
Oskar Lafontaine ist sich der mißlichen Lage wohl bewußt. Und so versucht er mit Scherzchen über Kohl die aufkommende Verlegenheit zu überspielen. „Es interessiert mich brennend“, sagt er verschmitzt, „ob Kohl den Blair jetzt schon duzt – oder erst nach der Regierungsübernahme?“ Die ihn umringenden Journalisten lächeln freundlich. Sie meinen es ja gar nicht alle so böse mit Oskar Lafontaine, wie Mitfahrerin Heidemarie Wieczorek-Zeul mit Hinweis auf die schlechte Presse in den vergangenen Monaten glaubt. Viele sind nur enttäuscht, daß der deutsche Oppositionsführer trotz vier Millionen Arbeitsloser, trotz Sparpaket den Funken der Opposition nicht entzündet. Ganz anders als Labour-Chef Tony Blair.
Seit 1979 hatte die Labour-Partei keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Im Juli 1994 kam dann der smarte, humorvolle Law- and-Order-Experte Blair ans Parteiruder. Seitdem konnte er mehr als 13.000 neue Mitglieder unter 26 Jahren für seine Partei gewinnen. Er brach mit alten Zöpfen, indem er der Vergesellschaftung der Produktionsmittel eine Absage erteilte, gab Sätze von sich wie „Sozialismus muß auf Verdienst und harter Arbeit aufbauen“ oder „wir wollen nicht klüger sein als der Markt“, forderte die moralische Erneuerung der Gesellschaft und faßte seine Überzeugung in dem markigen Spruch zusammen: „Ich bin der wahre Erbe von Maggie Thatcher.“ Und Lafontaine?
Das letzte Mal, daß er Emotionen auslöste, war bei seiner Wahl als Parteichef im November letzten Jahres: „Mitstreiter im demokratischen Wettbewerb: Zieht euch warm an“, hatte er unter dem Beifall der Delegierten gerufen. Wenigstens als Wetterprophet lag er richtig: Der Winter wurde kalt wie selten.
Auch am Anleger können sich die Journalisten eher an der Sonne als an Lafontaine erwärmen. Sie interessiert vor allem eins: Könnte der charismatische Tony Blair nicht Vorbild für Oskar Lafontaine sein? Dieser geht gönnerhaft in die Defensive. „Ich habe kein Problem damit, daß ein Mann mit solchem Charisma ein Vorbild für mich sein soll.“ Später an Bord wird er an Tony Blair gerichtet sagen: „Der Erfolg Labours wird uns als vorbildlich hingestellt. Wenn wir den Rahmen stellen können, daß ihr noch heller leuchtet, wollen wir das gerne tun.“ Was immer Lafontaine damit sagen wollte, wen in England kümmert zur Zeit die SPD? Mitfahrende englische Journalisten berichten, der deutsche Oppositionschef sei in England kaum bekannt.
Blair in Deutschland dafür um so mehr. Lafontaine wirkt so, als wolle er sich ein Scheibchen von dem Ruhm seines englischen Kollegen abschneiden. Wie Blair trete er für die europäische Gemeinschaft ein, versuche Gemeinsamkeiten darzustellen, plädiere für die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital und für bessere Bildungschancen. Habe die SPD schließlich nicht gerade die Verzinsung des Bafögs verhindert?
Endlich kommt Blair. Sofort fragt er: „Was ist euer Hauptproblem in Deutschland?“ um selbst zu antworten: „Jobs!“ Für Lafontaine, Günter Verheugen und Heidemarie Wieczorek-Zeul das Signal, im Chor ein Klagelied über die Regierung anzustimmen, die es den Armen nimmt und den Reichen gibt. Tony Blair schaut verständnisvoll.
In seiner Rede am nächsten Tag vor dem Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) wird Blair aber ohne ein Wort der Kritik an der englischen Regierung auskommen. Statt dessen redet er von eigener Stärke, von Modernisierung, Herausforderung, der neuen Labour-Partei.
An Bord, bei der SPD, kein Wort davon. Als Tony Blair das Boot in Bad Honnef verläßt, greift Lafontaine vor den Fotografen nach seinem Arm. Es ist der deutsche Oppositionsführer, der die Umarmung sucht. Blair erwidert die Geste nicht.
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