■ Zwei Frauen bomben das Völkerrecht in die Steinzeit zurück: Madeleine und Louise
Zwei Frauen ziehen an den Fäden der Weltpolitik – und schon herrscht Chaos. Denn die eine, Madeleine Albright, bewegt sich in der Weltordnung von gestern, die andere, Louise Arbour, in der Weltordnung von morgen. Bis gestern hatten souveräne Staaten das Recht, andere zu überfallen. Seit der Gründung des Völkerbundes aber ist der staatlichen Souveränität ein wesentlicher Bestandteil entzogen: das Recht, einen Angriffskrieg zu führen. Darüber hat sich Madeleine hinweggesetzt und sich eine Souveränität angemaßt, die es völkerrechtlich nicht mehr gibt.
Louise Arbour hingegen bewegt sich in einem System, das es noch nicht gibt: im Weltstaat. Mit der Tätigkeit eines Internationalen Gerichtshofs ist der Weltstaat in Funktion getreten, bevor er komplett ist. Er verfügt zwar über eine Judikative und eine Legislative (sie hat den Völkermord ebenso wie den Angriffskrieg zum Verbrechen erklärt) – es fehlt ihm aber an dem dritten und wesentlichen Bestandteil einer staatlichen Ordnung: der Exekutive. Er hat keine Polizei, die aller Partikularmacht überlegen ist. Die internationalen Gesetze können nur unter Verstoß gegen das Völkerrecht durchgesetzt werden, das die Einmischung in innere Angelegenheiten immer noch verbietet. Solange die militärische Macht noch unzentralisiert ist, werden die internationalen Gesetze vom Recht des Stärkeren durchgesetzt. Davon profitiert Madeleine Albright, die mit der Führung eines Angriffskriegs ein Verbrechen begeht, das seit dem Londoner Abkommen von 1945 strafbar ist.
Louise hat durch ihr Einschreiten gegen Miloevic Madeleine ins Handwerk gepfuscht. Die Ordnung von gestern, innerhalb deren sich Madeleine bewegt, braucht noch die Immunität der Staatsoberhäupter, ohne die internationale Verhandlungen unmöglich sind. Die Anerkennung der „Heiligkeit der Gesandten“, die sich unter dem Schutze der weißen Flagge unbehelligt ins Feindesland begeben konnten, war der urzeitliche Anfang einer völkerrechtlichen Ordnung. Seit die Angst, daß die Verhandlungsführer getötet werden, weggefallen ist, braucht nicht mehr bis zum letzten Mann gekämpft zu werden; seitdem kann der Frieden ausgehandelt werden. Dieser Fortschritt wird durch die internationale Justiz zurückgenommen, bevor sich der noch größere Fortschritt – die Weltpolizei – etabliert hat. In ihrem Zusammenwirken bomben Madeleine und Louise das Völkerrecht in die Steinzeit zurück. Sibylle Tönnies
Die Autorin ist Juristin und Hochschullehrerin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen