Zwei- und Dreisprachigkeit in der Erziehung: "Ist das Kind nicht total verwirrt?"
Eine Übersetzerin will ihre Töchter dreisprachig erziehen. Und stößt überall auf Unverständnis. Ein Erfahrungsbericht.
BRIGHTON taz | Unsere zwei Töchter sind in Berlin zur Welt gekommen. Ich, als Engländerin, spreche nur Englisch mit den beiden. Mein Mann, gebürtiger Franzose lateinamerikanischer Herkunft, spricht ausschließlich Spanisch.
Wir haben uns aber "auf Deutsch" kennen gelernt. Es war unsere gemeinsame Sprache, und wir werden wahrscheinlich immer miteinander auf Deutsch kommunizieren. Diese unsere Sprache zu wechseln, käme nicht in Frage. Meiner Meinung nach hat man mit jeder Sprache eine distinktive Persönlichkeit. Plötzlich mit meinem Mann Englisch, Französisch oder Spanisch zu reden, das wäre so ähnlich, wie mit einem fremden Menschen zusammen zu sein.
In Berlin war Deutsch zu sprechen eine Art neutrales Territorium für uns - für zwei Ausländer, beide "nicht von hier", die sich über die Einheimischen lustig machen konnten. Dann kam das erste Kind, und es sollte natürlich dreisprachig aufwachsen. Eine Sprache, eine Bezugsperson, was könnte einfacher sein?
ist 41, ist freiberufliche Übersetzerin und arbeitet für die Deutsche Welle. Sie ist mit Familie im Mai nach Brighton gezogen und lebte zuvor 14 Jahre in Berlin.
Als die erste Tochter zur Welt kam, haben uns die Leute ausgefragt: "Na, wie werdet ihr mit ihr sprechen, wie regelt ihr das?" Ich war überrascht, wie oft negative Reaktionen auf unseren dreisprachigen Plan kamen - sogar unter gleichaltrigen, gebildeten und welterfahrenen Menschen.
"Oh, das wird aber zu viel sein!", sagte eine Journalistin in meiner Bürogemeinschaft. "Ihr solltet euch auf zwei Sprachen begrenzen." "Ist sie nicht total verwirrt?", sagte ein andere. Spielplatzgespräche liefen ähnlich ab. Als wir dann zweisprachige Kitas in Berlin besuchten, wurde bald klar, dass das Angebot sehr begrenzt ist. Diese Kitas sind meist neu, haben keine lange Erfahrung, oft führen Elterninitiativen zu einer Grauzone zwischen elterlicher und pädagogischer Autorität, die zu Verwirrung führt.
Wir wurden oft interviewt von anderen Eltern, die diese Kitas gemanagt haben. Sie wollten wenig über das Kind wissen oder über unsere sprachliche Situation zu Hause. Wichtiger war ihnen, ob wir am Wochenende Zeit haben würden, die neue Kita zu renovieren oder zu putzen. Schließlich fanden wir eine Kita mit einer liebevollen Umgebung und spanisch sprechendem Erzieher als Bonus.
Negatives Echo kam wieder, als eine Kinderärztin unsere große Tochter zum Sozialpädiatrischen Zentrum, kurz: SPZ, der Vivantes-Klinik in Friedrichshain schickte. Eine Standarduntersuchung hatte potenzielle Auffälligkeiten ans Licht gebracht. Da stimmte etwas nicht. Vielleicht liegt es an der Dreisprachigkeit? Als mein Mann und ich vor Experten im SPZ saßen, kam tatsächlich wieder der Vorschlag, eine Sprache wegzulassen.
Na, welche denn? Meine Muttersprache Englisch, die Muttersprache meines Mannes, Spanisch, oder die Sprache unseres Adoptivlandes, Deutsch?
Wir waren fassungslos. Was ist mit den ganzen afrikanischen Ländern, wo alle Kinder mindestens drei Sprachen sprechen, eine Situation, die dort normal ist? Oder was mit der weitverbreiteten Theorie, dass Kinder die Fähigkeit haben, viele Informationen im frühen Alter zu verarbeiten und dass Mehrsprachigkeit die Intelligenz stimuliert?
Nach einer Reihe von Tests - Gehirn-, Genetik-, Hör-, Seh-, Intelligenz-Tests - kam nach einiger Zeit die Empfehlung vom SPZ, unsere Tochter auf eine Schule für Lernbehinderte zu schicken. Das war für mich "the nail in the coffin".
Unsere Tochter besucht seit Mai 2010 eine Schule in Brighton, Südengland. In ihrer Klasse gibt es ein Kind aus Saudi-Arabien, ein anderes Kind aus Ägypten und mehrere Kinder sind afrikanischer, indischer oder pakistanischer Herkunft. Mehrere Kinder sprechen zu Hause eine andere Sprache als Englisch. Dies wird als eine Bereicherung gesehen. Während unsere große Tochter in Deutschland als Mädchen galt, das vielleicht nie eine normale Schule besuchen könnte, wurde es in Brighton ihren Klassenkameraden vorgestellt als "a clever girl, who speaks three languages".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben