■ Zwangsscheidung in Kairo nach islamischem Recht: Freiwild für Eiferer
Die Auseinandersetzungen um den letzten Film des ägyptischen Regisseurs Yussef Schahin, „Der Emmigrant“, oder um den Roman des Nobelpreisträgers Naguib Mahfus, „Die Kinder unseres Viertels“, der wegen angeblicher Prophetenbeleidigung jahrelang in Ägypten verboten war, waren eher Sandkastenspiele im Vergleich zu dem, was sich vorgestern in der Sache des Linguisten Nasser Abu Zeid vor dem Kairoer Appellationsgericht abgespielt hat.
Das Urteil, das die Scheidung von seiner Frau Ibtihal wegen angeblichen Abfalls des Wissenschaftlers von der Religion angeordnet hat, ist ein einmaliger Präzedenzfall in der Rechtsgeschichte des Landes – mit unabsehbaren Folgen für Nasser, für seine durch den Urteilsspruch praktisch entmündigte Frau Ibtihal und für das intellektuelle Klima des Landes.
Ein drohendes Berufsverbot an der Universität von Kairo dürfte für Nasser Abu Zeid dabei noch das kleinste zu erwartende Übel sein. Das Urteil hat ihn zum Freiwild für islamische Eiferer gemacht. Nach den Vorschriften der Scharia ist es das Recht eines jeden Muslims, ungestraft denjenigen umzubringen, der dem Glauben abgeschworen hat. Und seiner Frau droht der Prozeß wegen außerehelicher Beziehungen, auf die nach ägyptischem Recht Gefängnisstrafe und nach den Vorschriften der Scharia Tod durch Steinigung droht, falls sie nicht ihre Koffer packt und aus der ehelichen Wohnung auszieht.
Die Tragik des Falles ist, daß Nasser Abu Zeid sich immer ausdrücklich zu seiner Religion bekannt hat. Sein einziges Verbrechen in den Augen der islamischen Orthodoxie: Er versuchte den Koran linguistisch zu interpretieren. Wenn wir den Sinn der heiligen Texte auch für die heutige Gesellschaft zugänglich machen wollen, so argumentierte er, dann müssen wir sie in ihrem sozialen und historischen Kontext analysieren und neuinterpretieren. Damit widersprach er der Orthodoxie, für die der Koran das unveränderbare und ewige Wort Gottes ist.
Schon heute traut sich in Ägypten kaum noch jemand, außerhalb des islamischen Diskurses zu argumentieren. Selbst Linke und Anhänger eines säkularen Weltbildes haben sich der Logik der Fundamentalisten zunehmend unterworfen. Andere, wie der Publizist Farag Foda, haben für ihre Weigerung mit ihrem Leben bezahlt. Aber das jetzige Urteil richtet sich nicht nur gegen Kritiker der zunehmenden Islamisierung, sondern auch gegen diejenigen aus dem islamischen Lager, die den Islam von innen heraus reformieren und modernisieren wollen. Dabei besteht im ägyptischen Recht keinerlei Rechtsgrundlage für das Urteil gegen Nasser Abu Zeid und seine Frau. Das räumte selbst der Vorsitzende Richter des Appellationsgerichtes ein, als er sagte: „Das ägyptische Recht kennt zwar keine ,Hisbeh‘ (das heißt das Recht der islamischen Gesellschaft, stellvertretend im Namen einer Muslimin die Scheidung von ihrem Mann anzustreben), der Islam jedoch kennt die ,Hisbeh‘.“
Mit dem Urteil gegen Nasser Abu Zeid und seine Frau Ibtihal wurde der gesetzlichen Willkür im Namen des religiösen Extremismus Tür und Tor geöffnet. Wer garantiert, daß sich morgen nicht andere Richter über alle verfassungsmäßig garantierten Rechte und gesetzlichen Vorschriften eigenmächtig hinwegsetzen und im Namen der Scharia öffentliche Bücherverbrennungen und Auspeitschungen anordnen, Dieben die Hände abhacken, Ehebrecher steinigen lassen und alle unliebsamen Intellektuellen, die sich dem orthodoxen Mainstream widersetzen, auf die Abschußliste setzen? Ivesa Lübben
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen