Zwangsarbeiter: Schwieriges Gedenken
Die Autobahn über die Oder nach Osten sollte von polnischen NS-Zwangsarbeitern gebaut werden. Eine Begehung vor Ort im heutigen Swiecko zeigt, dass sich daran nur wenige erinnern wollen.
Der Busfahrer braucht Geschick, um sich auf der engen Kopfsteinpflasterstraße zwischen den Bäumen durchzuschlagen. Der alte Weg aus dem polnischem Slubice nach Swiecko wird kaum noch benutzt. Pure Idylle. "So müsste die Straße auch in den 40er-Jahren ausgesehen haben", sagt Matthias Diefenbach. "Wenn die Häftlinge aus dem Arbeitslager Oderblick zu Arbeit liefen. Damals hieß die Strecke Schwetig-Frankfurter Dammvorstadt."
Heute, am 8. Mai, wird auch in Swiecko der Jahrestag des Kriegsendes gefeiert. Vertreter der Gemeinde legen einen Kranz an der Gedenkstätte für das NS-Straflager "Oderblick" nieder. Einwohner und ehemalige deutsche Bewohner des Dorfs nehmen ebenfalls an der Zeremonie teil. In dem Straflager lebten mehr als 10.000 Zwangsarbeiter, die eine Reichsautobahn bauen sollten.
Matthias Diefenbach arbeitet am Institut für angewandte Geschichte an der Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Seit Jahren versuchen die Mitarbeiter, vergessene Geschichte aus dem Grenzgebiet in Erinnerungen zu rufen und deren Bedeutung für die Gegenwart zu vermitteln. Das aktuelle Projekt befasst sich mit der Geschichte des Grenzdorfs Swiecko. Das 300-Seelen-Dorf ist heute bekannt als Grenzübergangsstelle auf der A 12. Am Rand des Dorfes stand ein NS-Straflager für Zwangsarbeiter; sie sollten die Autobahn in Richtung Osten bauen. Dort, wo auch heute die Autos in Richtung Posen rasen. Der Ort sei die Hölle gewesen, sagt Diefenbach. Tausende von Menschen seien durch das Lager gegangen, nur wenige haben überlebt.
"Sie haben kaum Essen und Versorgung gehabt": Danuta Kolosowska erzählt gern. Sie ist eine von wenigen, die etwas über das Lager wissen. Ihr Cousin hat es überlebt. Nur mithilfe der Erinnerungen solcher Menschen kann man die Geschichte des Lagers teilweise rekonstruieren. Bis heute ist darüber wenig bekannt; so weiß man nicht, wie viele Menschen dort gestorben sind. Hunderte oder tausende. Auf einer Gedenktafel vor Ort stehen 30 Namen: die einzigen identifizierten Toten.
Als die polnischen Umsiedler 1945 nach Schwetig/Swiecko kamen, gab es keine Überlebenden mehr. "An die Haare kann ich mich erinnern. Ganze Menge menschlichen Haare auf dem Boden." Krystyna Holyk kam 1946 nach Swiecko. Ihr Haus in Ostpolen musste sie verlassen, denn das Gebiet wurde von der Sowjetunion annektiert. Sechs war sie damals, erzählt sie, und mit Kindern anderer Umsiedler ist sie umhergestreift. Auch über das Gelände des ehemaligen Lagers. "Am Anfang standen dort noch die Baracken", erinnert sie sich. "Dann irgendwann gab sie auch nicht mehr." Was genau für ein Lager das war, weiß sie bis heute nicht: "Ich habe gehört, dort sind viele Menschen gestorben. Warum, weiß ich nicht."
Seit den 70er-Jahren besuchten die früheren deutschen Bewohner von Schwetig die neuen polnischen Bewohner von Swiecko. Es entwickelten sich Freundschaften. Krystyna Holyk besuchte sogar die ehemalige Besitzer ihres Hauses in Eisenhüttenstadt. "Sie haben über das Dorf erzählt, wie es vorher war, sogar Bilder mitgebracht." Nur über den Krieg und das Lager haben sie nie gesprochen.
1977 wurde schließlich ein Denkmal errichtet. "Aber erst seit der Wende kommen Journalisten und suchen nach Zeitzeugen", erzählt ein Mann, der 1945 nach Swiecko zog. 2003 und 2004 fanden sich in Swiecko ehemalige und heutige Bewohner und Überlebende des Lagers zusammen. Vor dem Denkmal. Die Politiker redeten, doch einen Dialog zwischen den Zeitzeugen gab es kaum, räumt einer der Teilnehmer ein.
Heute erinnert nur eine neue Tafel an das Lager. Sonst gibt es keine Spur der Geschichte. Fast. Ganz hinten auf dem Gelände findet man eine Betontreppe. "Wahrscheinlich ein Eingang zu den Baracken", vermutet Diefenbach. Gelbe Blümchen drängen sich zwischen die Stufen. Aus der Entfernung hört man den Lärm der Autobahn.
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