Zuwanderung: Der Herr der Speisekarten
Vu Trung ist einer von vielen vietnamesischen Unternehmern in der Stadt. Er produziert Werbung und Speisekarten für Imbisse und Bistros.
In seiner Werkstatt in der Herzbergstraße in Lichtenberg nennt man ihn den Meister. Doch einen Meisterbrief hat Vu Trung, der hier Werbefolien, Leuchtreklame und Speisekarten für asiatische Imbisse und Bistros im gesamten Bundesgebiet fertigt, nicht. Der ehemalige vietnamesische Asylbewerber ist heute ein erfolgreicher Unternehmer.
Das Vu Trung Unternehmer wurde, ist nichts Ungewöhnliches. Fast jeder fünfte Zuwanderer in den neuen Bundesländern, darunter viele Frauen, sind wirtschaftlich selbständig tätig. Das ist das Ergebnis einer Studie der Brandenburger Ausländerbeauftragten Karin Weiss. "Zugewanderte entsprechen in der Realität ganz oft nicht dem negativen Bild, das in der Öffentlichkeit so gerne gezeichnet wird", sagt Weiss. Viele würden Arbeitsplätze schaffen.
Auch wenn es für Vietnamesen keine eigene Statistik gibt: Es ist unstrittig, dass ihre Selbständigenquote besonders hoch ist. In der Herzbergstraße in Lichtenberg und in der Marzahner Straße in Hohenschönhausen haben sich eigene vietnamesische Gewerbegebiete entwickelt. Herzstück sind die dort ansässigen asiatischen Großhandelszentren. Um sie herum werben Dolmetscherbüros, Ärzte, Anwälte, eine Fahrschule und allerlei Dienstleister und Handwerker auf Vietnamesisch um Kunden.
Die Entwicklung ist ein Resultat der Nachwendezeit. Damals bekamen die ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter nur dann ein auf höchstens zwei Jahre befristetes Aufenthaltsrecht, wenn sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienten. Da sie als Arbeitnehmer keine Chance hatten, blieb nur der Weg in die Selbständigkeit. So entstand eine ethnisch geschlossene Handelsstruktur, die nicht immer ganz professionell, aber mit viel Fleiß zahlreichen Familien das Überleben sicherte und sie über die Tücken des Ausländerrechtes hievte. Viele haben kleine Wochenmarktstände oder Läden. Andere versorgen die Ladeninhaber mit Waren. Sie betreiben Import-Export-Firmen und holen ihre Waren oft von Verwandten in Vietnam. Wieder andere versorgen die Händler mit allerlei Dienstleistungen. "Die Vietnamesen sind in Berlin nach wie vor mit einer Überlebensökonomie konfrontiert", sagt Kien Nghi Ha, ein in Berlin aufgewachsener Kulturwissenschaftler der zweiten vietnamesischen Einwanderungsgeneration.
Dass es in Vu Trungs Werbetechnikfirma in Lichtenberg etwas professioneller zugeht, liegt an seinem hohen Bildungsstand. Er hat in Vietnam ein Studium der russischen Sprache absolviert und nebenher Designlehrgänge belegt. In Berlin lernte er an Volkshochschulen, bevor er seine Firma gründete: Zuerst nahm er Unterricht in der deutschen Sprache, die er inzwischen fließend spricht, dann belegte er allerlei Computerkurse und schließlich lernte er noch im Design hinzu. "Auch auf Messen gehe ich gern, um mich mit Fachleuten auszutauschen", sagt er.
Entgegen dem Medienbild von den vorbildlich integrierten und gebildeten Vietnamesen haben die meisten Zuwanderer der ersten Generation nur einen geringen Schulabschluss, keine Berufsbildung absolviert und sie können sich oft trotz 20 Jahren Aufenthalt in Deutschland auch sprachlich oft nur mit Hilfe von Dolmetschern verständigen. Der Grund liegt in den ethnisch geschlossenen Wirtschaftskreisläufen, der ihnen das Überleben sichert.
In den Asiamärkten muss man kein Deutsch sprechen. Es gelten auch andere Regeln als sonst in der Geschäftspraxis. Das geht mit eigenen Lösungen für Ratenkauf los und endet mit Kriminalität, die im Schutz ethnisch geschlossener Räume, in denen die Behörden solche Selbstverständlichkeiten wie das Ladenschlussgesetz oder die Lebensmittelhygiene besonders schwer durchsetzen können, gut gedeiht. Immer wieder sind Asiamärkte Ziel von Polizeirazzien. Dabei geht es etwa um Produktpiraterie, Schwarzarbeit, Verstöße gegen die Lebensmittelhygiene, illegales Glücksspiel oder Messerstechereien.
"Die Werbetechnikfirma ist schon meine zweite Gründung", sagt Vu Trung stolz. Sein erster Versuch, sich selbständig zu machen, war ein Computerservice. Das war in der zweiten Hälfte der 90er Jahre. Viele Landsleute hatten ab 1997 endlich ein Daueraufenthaltsrecht für Deutschland erworben. Jetzt konnten sie für sich und ihre Kinder ein Leben in Deutschland planen. Vu Trung: "Dazu gehörte auch, dass sie Computer kauften, damit die Kinder besser lernen konnten." Doch die Software musste ihnen jemand installieren. Als Vietnamese konnte er besser auf die Bedürfnisse seiner Landsleute eingehen, sich etwa um eine Tastatur kümmern, die die zahlreichen Sonderzeichen der vietnamesischen Sprache enthielt.
Als der Markt gesättigt war, sattelte Vu Trung auf Werbetechnik um. Zuerst in einem Asiamarkt, denn das brachte Synergieeffekte. "Wenn meine Kunden, das sind Betreiber von asiatischen Bistros, Imbissen und Restaurants, ihre Waren holen, konnten sie auch gleich Leuchtwerbung und Speisekarten in Auftrag geben", sagt er. Irgendwann zog er in die Herzbergstraße, rund einen Kilometer von einem der Berliner Asiamärkte entfernt, in einen alten Gewerbehof. Seine Druckmaschinen waren für einen Asiamarkt, wo die Unternehmer Wand an Wand sitzen, zu laut geworden.
Fast jeder hat wohl schon die abfotografierten Asia-Gerichte in den Bistros gesehen, unter denen der Name des Gerichts und der Preis stehen. Sie kommen fast alle aus Vu Trungs Werkstatt. Nicht nur in Berlin, sondern bundesweit. Denn auf der Suche nach einem Platz für den eigenen Imbiss haben viele Vietnamesen das wirtschaftlich schwierige Berlin verlassen und sich in einem alten Bundesland angesiedelt. Ihre alten Geschäftskontakte und ihre sozialen Kontakte haben sie aber mitgenommen. Vu Trung versteht sich als Handwerker, nicht als Künstler. Einige Zeit hatte er eine vietnamesische Mitarbeiterin, die die Kunsthochschule in Burg Giebichenstein in Halle absolviert hat und in der Werkstatt designte. "Sie passte nicht zu den Wünschen meiner Kunden", sagt er.
Was Trung auch von vielen seiner Landsleute unterscheidet: Ihn reizt es nicht, Unternehmen zu gründen, die alle haben und womit sie sich gegenseitig Konkurrenz machen. Und er hat ein Team. Neben seinen drei Mitarbeitern gehören dazu ein deutscher Innenarchitekt, der die Bistros und Restaurants entwirft. Dazu gehört eine von Vietnamesen betriebene Lackiererei, die gleich gegenüber in der Herzbergstraße sitzt und seine Werbetafeln lackiert. Zum Abfotografieren der Gerichte kooperiert er mit mehreren Fotografen. Und er arbeitet mit Elektrofirmen im ganzen Bundesgebiet zusammen, die die Leuchtwerbung vor Ort installieren.
Ganz neu ist, dass er einen Azubi ausbilden will. Ein vietnamesischer Hauptschulabsolvent will bei ihm lernen. Auch hier kann Vu Trung keine ausgetretenen Pfade gehen, denn weder hat er einen deutschen Meistertitel noch kann er auf Erfahrungen seiner Landsleute zurückgreifen: Vietnamesische Jugendliche der zweiten Generation streben eher in akademische Berufe. Eine Arbeit in den Firmen der ethnischen Ökonomie mit Vierzehnstundentag und vietnamesischen Regeln ist für sie völlig unattraktiv. Bei Vu Trung ist das ein bisschen anders: Bei ihm kann man etwas lernen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert