Zustand nach Blutverlust

■ Prima Klima: Eine Diskussion über Kunst und Kultur in Mitte

In Töpfe stecken Leute ihre Köpfe – das ist Kunst. Vor den Sophiensälen steckten am Montag ein paar Leute ihre Köpfe symbolisch in den Sand. Die Menge ging etwas verstört darum herum. „Wenn man etwas nicht versteht, dann ist das Kunst“ witzelte der Moderator Thomas Notnagel daher auf der zu der Performance gehörenden Podiumsdiskussion, zu der die Aktionsgalerie, die Sophiensäle und das Kulturamt Mitte geladen hatten. Witz und Performance bezeichneten treffend den Zustand der auf dem Podium sitzenden Kulturschaffenden.

Peter Radunski lobte seine bisherige Kulturarbeit, verglich Berlin mit New York, um es dann – nach Einwänden – aber gar nicht mit New York vergleichen zu wollen. Die Publizistin Ulrike Steglich erweiterte ihren Kulturbegriff auf die „Dosenbiertrinker am Gipsdreieck“ und wollte so die Idylle einführen. Kulturamtsleiter Thomas Liljeberg erfand den Witz, dass man ja die Kiezkultur und die Bewohner nehmen könne, um mit ihnen nach Spandau auszuwandern. Harm Müller-Spreer und Karl-Heinz Maschmeier schließlich, die in dieser Runde als Vertreter der Baulöwenfront auf verlorenem Posten saßen, machten gut Wetter: Maschmeier etwa belobigte sich allen Ernstes dafür, dass seine Investorengruppe den Werbewert der Tachelesruine zu schätzen wisse und dementsprechend honoriere. Das anwesende Publikum, dass über professionelle Interessenverteter und freischaffende Künstlerinnen und Künstler hinaus keine Bewohner des Kiezes aufwies, neigte ähnlich wie die Diskutanten zu sozialem Frieden.

So wurde beispielsweise ernsthaft gefordert, dass Radunski schriftliche Unterstützungszusagen mache, damit auch die Kunst etwas von seinen Wahlkampfversprechen habe. Radunski saß derweil gelassen im Freischwingerstuhl, hatte die wurstigen Händlein gefaltet und lächelte wie Jesus. Eine der wenigen Publikumsfragen, die spannend war, nämlich ob Radunski eigentlich mehr als ein Hauptstadtdekorateur“ sei, wurde von allen Beteiligten sanft ignoriert. Dem Zwischenrufer blieb danach nur, sich heillos zu betrinken.

Notnagel hatte als Moderator alle Schwierigkeiten, diesen verklüngelten Haufen am Reden zu halten. Kaum einer hatte eine These oder originelle Gedanken. Eine redete über Kiez, ein anderer über Tourismus, und das Kapital schwärmte leuchtenden Auges von der Wertabschöpfung. Am Ende aber hatten sich alle irgendwie verstanden.

Nach der Veranstaltung gab es noch eine andere, nicht bestellte Performance. Sebastian Bieniek aus dem Tacheles ließ sich zwischen Saal und Straße regelrecht ausbluten. Eine drastische Aktion wider das Kleinkunstelend der ersten Performance. Allerdings schaute kaum einer zu, wie das Blut unwillig und nur spärlich aus ihm herausfloss. Heißt das, symbolisch gesehen, dass die Kunstmitte nicht mal mehr bluten kann? Nach der Diskussion schien das fast so. Jörg Sundermeier