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Zusammen ist man weniger allein

Fachkreise gehen davon aus, dass mit einer Gruppentherapie mitunter viermal so viele Pa­ti­en­t*in­nen versorgt werden könnten wie durch die Einzeltherapie. Eine gute Möglichkeit, Wartezeiten zu ver­kürzen, könnte man meinen. Lange Zeit blieb die aber ungenutzt.

Der Gedanke, mehrere Pa­­ti­en­t*in­­nen gleichzeitig zu behandeln, war verpönt. Die Behandelten glaubten lange, schlechter versorgt zu werden, und The­ra­peu­t*in­nen lernten in ihrer Ausbildung gar nicht erst, wie eine Gruppentherapie aufgebaut sein muss. Dabei zeigen zahlreiche Studien, dass eine Gruppentherapie genauso wirksam ist wie die Einzeltherapie.

Die Idee ist simpel: Drei bis neun Pa­ti­en­t*in­nen erörtern gemeinsam die psychischen Probleme der Gruppenmitglieder. Dafür bedarf es einer guten Anleitung durch ei­ne*n Therapeut*in, die darin ausgebildet ist, sagt Beate Cohrs, Vorsitzende des Berufsverbands der Approbierten Gruppentherapeuten. Dann läge in der Gruppe auch eine Chance: „sich gegenseitig zu spiegeln und in einen sicheren Raum einander offene Rückmeldungen zu geben, ohne fürchten zu müssen, etwa die Arbeit oder eine Freundschaft zu verlieren“. Die meisten Patient*innen, die vorher in Einzeltherapien waren, hätten im Nachhinein zurückgemeldet, dass sie in den Behandlungen nie so weit gekommen wären.

Gruppentherapien können bei Depression, Angststörungen, Zwängen, Süchten oder Persönlichkeitsstörungen zum Einsatz kommen, sie können mit festen oder kontinuierlich wechselnden Mitgliedern konzipiert werden, und sie können mit einzeltherapeutischen Stunden kombiniert werden. In solchen individuellen Gesprächen könnten Pa­ti­en­t*in­nen gerade zu Beginn und gegen Ende ihrer Therapiezeit aufgefangen und in die Gruppe behutsam integriert werden, sagt Cohrs. Das würde vor allem denen helfen, die noch keine Therapieerfahrung haben.

„Letztlich ist es zentral, dass eine Gruppe gut zueinanderpasst und sich alle geborgen fühlen“, sagt Cohrs. Klar sei auch, dass nicht je­de*r für eine Gruppentherapie geeignet ist. Wichtig sei, sich aber offen mit allen Optionen auseinanderzusetzen, um jeweils die beste Therapieform zu finden.

Die entscheidenden Schritte zur Stärkung von Gruppentherapien wurden erst 2017 unternommen. Damals entschied der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Gruppentherapien speziell zu fördern und sie der Einzeltherapie gleichzustellen, womit sie gleichwertig in der Weiterbildung vermittelt sowie mit weniger bürokratischem Aufwand besser entlohnt wurden.

Seitdem bieten zwar mehr The­ra­peu­t*in­nen Gruppentherapien an, und auch in absoluten Zahlen kam sie häufiger vor. Ihr Anteil in Relation zu allen anderen Therapieformen blieb trotzdem gering, ergab eine Untersuchung Anfang des Jahres der Universität Münster. Den Au­to­r*in­nen zufolge müsste noch mehr Wert darauf gelegt werden, die Therapieform bekannt zu machen. Schließlich kämen die meisten Pa­ti­en­t*in­nen nicht von selbst zu einer Psychotherapie. Sie werden von Hausärzt*innen, über Internetseiten, andere Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen oder über die Arzt- und Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen­su­che der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 116117 vermittelt.

Dabei könnte in der Gruppentherapie sogar noch eine Chance liegen, die über den indivduellen Behandlungserfolg hinausgeht, sagt Cohn: „Unsere Gesellschaft fordert uns auf, nach Individualisierung zu streben.“ Es bilde sich aber eine Gegenströmung aus, die davon handele, was uns verbinde, was ähnlich sei. „In der Gruppentherapie versuche ich, gemeinsam mit den Pa­ti­en­t*in­nen Erlebnisse zu ermöglichen, die dieses Gefühl des Zusammenhalts stärken“, sagt Cohrs.

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