piwik no script img

Zurück an die Nadel

■ Experten schlagen Alarm: Ohne neue Methadon-Vereinbarung droht die Katastrophe / Substitution nur noch für Todkranke Von Silke Mertins

Vor einem „drogenpolitischen Rückfall“ warnten gestern eindringlich die gesammelten Hamburger Drogenexperten. Es sei unbegreiflich, so Professor Peter Raschke, daß ein so erfolgreicher Modellversuch wie das Methadon–Programm jetzt zu kippen droht. „Wozu dieser ganze wissenschaftliche Aufwand, die Begleitstudien, wenn man nicht die richtigen Konsequenzen daraus zieht?“ fragt sich der Wissenschaftler. Doch auch den Laien, den viel zitierten BürgerInnen, wird nur schwer begreiflich zu machen sein, warum ein Modellversuch, der seit sechs Jahren Beschaffungskriminalität und -prostitution, Drogentote und Verelendungen drastisch reduziert hat, nun zu Grabe getragen werden soll.

Schuld daran sind noch nicht einmal weltfremde PolitikerInnen, sondern einzig und allein das Geld. Den Krankenkassen ist das Substitutionsprogramm zu teuer, und Ende des Jahres läuft der „Hamburger Vertrag“ aus. Vor allem die Gesundheitskasse AOK – die als größte Kasse den Löwenanteil tragen müßte – sträubt sich mit Händen und Füßen, die Methadon-Behandlung ein für allemal als allgemeine medizinische Versorgung anzuerkennen.

Nur noch neun Wochen haben die Kostenträger Zeit, sich über neue Zahlungsmodalitäten zu einigen. Bleibt das zähe Gerangel um die Finanzierung in der jetzigen Sackgasse und gibt es bis Anfang des Jahres keinen neuen Vertrag, drohen die veralteten „NUB“-Richtlinien wieder in Kraft zu treten. Danach bekommt nur der todkranke Junkie Methadon; HIV-infiziert zu sein allein ist da nicht genug, man muß schon aidserkrankt sein oder mindestens Krebs, Gelbsucht oder eine Lungenentzündung nachweisen. „Nach den NUB-Richtlinien bekommt eine schwangere Süchtige nur vor der Geburt und sechs Wochen danach Methadon“, so der Leiter der Drogenambulanz Georg Chorzelski. Dann ist Schluß: Die Mutter landet wieder auf dem Drogenstrich.

2500 Abhängige haben im Rahmen des Hamburger Modellversuchs die Chance bekommen, sich dank der Ersatzdroge und einer umfangreichen psychosozialen Betreuung ein neues Leben aufzubauen. Während Junkies 60mal häufiger sterben als andere ihrer Altersgruppe, ist die Sterblichkeit bei Substituierten nur 1,3mal höher.

Ob die rund 170 ÄrztInnen und 250 ApothekerInnen weiterhin Methadon ausgeben dürfen, steht mit dem Ende des Modellprojekts ebenfalls zur Disposition; eine „NUB“-Zulassung haben nur 14 Hamburger Arztpraxen. Am liebsten würden die Kassen sich an dem Geld vergreifen, das die Stadt für die psychosoziale Betreuung – Therapie und Lebenshilfe zur gesellschaftlichen Reintegration – der Substituierten zur Verfügung stellt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen