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Archiv-Artikel

Zur schönen Aussicht

Im neuen tazcafé steht die Milchschaumdüse nie still: Es ist ein Erfolg

Es ist eben doch interessant zu sehen, wie die Wurst gemacht wird, besonders wenn sie taz heißt: Im „tazpresso“, dem neuen tazcafé in der Rudi-Dutschke-Straße ist den ganzen Tag große Konferenz. Bei Milchkaffee und Bionade werden jenseits der Schreibtische redaktionelle Themen ausgetüftelt, Debatten hin- und hergewendet, Zigaretten geraucht.

Das „tazpresso“ ist eine gläserne Zeitungsmanufaktur, die von der Dutschke-Straße aus einsehbar ist und von deren Innerem aus großes Straßentheater zu genießen ist: Verkehr, Menschen auf dem Weg zur Arbeit, Touristen, die vom nahen Checkpoint Charlie herüberkommen, Arbeitssuchende auf dem Weg zur benachbarten Bundesagentur für Arbeit – das Café ist eine Schnittstelle zwischen Zeitung und Lesern, Schreibenden und zu Beschreibendem, in der man auch noch Seite an Seite vorzüglich speisen kann. Übrigens: taz-Mitarbeiter erkennt man daran, dass sie mit roten Chipkarten bezahlen, neumodischer Ersatz für die früher in Briefumschlägen verteilten Essenmarken.

Bei den kulinarischen Genüssen gilt hier frei nach Bourdieu: Man ist, was man isst und trinkt. Natürlich werden vegetarische Spezialitäten offeriert, von der Bulette bis zum „Wurzelgemüsegulasch auf Tagliatelle mit mandschurischen Azukibohnen“. Selbstverständlich stammen die panierten Schnitzel, die zu mit Käse überbackenen Gnocchi gereicht werden, von glücklichen Neuland-Schweinen. Von selbst versteht sich, dass der dazu genossene Riesling-Kabinett von Bioland stammt und der im Anschluss konsumierte köstliche tazpresso fair gehandelt wurde. Das „tazpresso“ ist eben auch eine Art öffentlich zugängliche Betriebskantine, in der nach Rezepten gekocht wird, die den Inhalten der Zeitung entsprechen: regional und überregional, multikulturell und ökologisch.

Hierher zu kommen bedeutet, die taz zu riechen und zu schmecken, auf taz-rotem Mobiliar knisternde Zeitungsseiten umblätternd einfach dabei zu sein, wenn der Redaktionsschluss naht oder beim (durchaus nicht subventionierten) Feierabendbier der Druck entweicht. Geheimtipp zu fortgeschrittener Tageszeit: Albonigas in feuriger Tomatensoße, intern auch „Nancys Klopse“ genannt – Tapas, liebevoll geformt von den Händen jener Nancy, die vormals für die Versorgung der tazzler mit – von manchem vermissten – „Bemmen“ zuständig war. Beliebt auch bei der Jugend von heute: Abendliches Loungen auf der Galerie, einer Chill-Area mit Sitzsäcken, belgischen Designersofas und Schaukeln. Anschließend oder auch währenddessen: Shopping im taz-Shop, der derzeit den meisten Umsatz mit „Tom“-Devotionalien macht.

Die Signierstunde des taz-Karikaturisten hatte dem Café im Dezember einen wahren Umsatzboom beschert, nun werden weitere Veranstaltungen folgen. Am „Kultur-Mittwoch“ trifft man sich um 21 Uhr zu kulturellen und politischen Events wie dem „Verbrecher-Salon“ oder „TV Real“, einem öffentlichen Ersatzfernsehen des Berliner Künstlers Peter Kees. Die dort entstehenden „Gesprächsporträts“ werden anschließend im Berlinteil abgedruckt.

Das „tazpresso“ wird nun zum Berliner Salon, eingeladen sind: alle, bitte schön. Das Café schreibt schwarze Zahlen, weil es mit monatlich 9.000 Euro Mitarbeiter-Essenszuschüssen subventioniert wird – das geht in Ordnung im Sinne des Erfinders, schöner noch wäre die Erwirtschaftung eines hübschen Gewinns zum Wohle der taz.

MARTIN REICHERT