■ Zur rot-grünen Regierungsperspektive in NRW: Solidität gefragt
In Alternativgutachten und auf linksgrünen Parteitagen klingt alles ganz einfach. Da muß man nur diesen statt jenen Pfad gegen den Willen der jeweils herrschenden Partei politisch mutig beschreiten, und schon ist die Problemlösung auf einem guten Weg. Nichts ist unmöglich: Wohlstand und Chancengleichheit für alle, gesunde Umwelt, weitgehend offene Grenzen, Arbeit satt und eine Polizei, die die Schutzinteressen der BürgerInnen ganz, ganz sanft durchsetzt. Und dieses Paradies gibt es auch noch mit weniger öffentlicher Verschuldung als heute üblich.
Gewiß, niemand glaubt diesen Stuß wirklich, aber bei Koalitionsverhandlungen steht auch noch die mieseste Parteiprosa hoch im Kurs. Bedauernd verkündet das grüne Führungsduo Michael Vesper und Bärbel Höhn nun schon seit Wochen, daß wir „mit 10 Prozent der Stimmen natürlich nicht 100 Prozent unseres Programms durchsetzen können“. Diese Botschaft schmeckt dem Parteivolk bitter, doch sie ist falsch. Selbst 100 Prozent bei den Wahlen für die Grünen reichten nicht, das formulierte Programm umzusetzen. Da müßten schon Zauberkräfte hinzukommen. Kein Wunder, daß im Lichte programmatischen Selbstbetruges Koalitionskompromisse mickriger erscheinen als sie tatsächlich sind.
Verantwortung dafür tragen Sozialdemokraten gleichermaßen. Sie reden — vor allem Fraktionschef Klaus Matthiesen — aus genau umgekehrten Gründen alle Fortschritte klein. 15 Jahre lang haben sie den Leuten erzählt, für die ökologische und ökonomische Erneuerung des Landes gebe es keine Alternativen zur SPD-Politik, und nun fällt es ihnen schwer, den eigenen GenossInnen dieses Märchen auszutreiben. Wacht endlich auf! Ja, ihr habt nicht alles falsch gemacht, aber eben auch nicht alles richtig. Wer sich so an die Bergbaugewerkschaft IGBE und den größten Stromkonzern des Landes, das Essener RWE, klammert, der kommt gar nicht umhin, Chancen für eine zukunftsträchtige Energiepolitik zu verspielen. Die gilt es jetzt mit Hilfe der Grünen wahrzunehmen. Auch bei weiteren „harten Themen“, im Verkehrs- und Müllbereich eröffnen sich neue Perspektiven, die über das derzeitige Bild von der rot-grünen Notgemeinschaft in Düsseldorf hinausreichen.
Sicher, die Menschen beflügelnde Visionen sehen auf den ersten Blick anders aus, aber im Gegensatz zu den großen Versprechungen weisen die kleinen Schritte wenigstens den Weg nach vorn. Es geht jetzt in NRW darum, die Menschen in diesem industriellen Kernland für eine konsistente, ökologisch orientierte Reformpolitik zu gewinnen — nicht mehr und nicht weniger. Wenn beide Koalitionspartner sich dazu bekennen, wird das Bündnis in Düsseldorf Erfolg bringen und auch Chancen für Bonn eröffnen. Voraussetzung dafür ist, daß die Partner in spe den Mut finden, sich tradierter Klientelpolitik zu versagen und auf kleinliches Gezänk zu verzichten. Je schneller, um so besser. Walter Jakobs
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