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■ Zur gestrigen Zeremonie in der Kölner MoscheeDer prekäre Staatsakt Trauer

Von dem US-amerikanischen Soziologen Richard Sennet stammt die Unterscheidung zwischen presentation und representation im privaten und im öffentlichen Leben: wer repräsentiert, soll Wichtiges angemessen zum Ausdruck bringen; wer sich präsentiert, vor allem im Ausdruck authentisch sein. Den Verfall des öffentlichen Lebens macht er unter anderem an einer Diffusion dieser Erwartungen fest, an der Tyrannei der Intimität. Von PolitikerInnen, so Sennet, erwarten wir unberechtigterweise nicht mehr kluge Pogramme, kalkuliertes Handeln, Realismus und weitere Tugenden der Vernunft: nein, ehrlich sollen sie sein, glaubwürdig, authentisch – eloquente Gäste jener unaufhörlichen Talk-Show, die auch in der Bundesrepublik Politik beinahe ersetzt. Repräsentanten werden so zu Personen, mit denen wir ansprüchlich familiär umgehen, was der Politik mit Sicherheit schadet, der tatsächlichen Intimität aber nicht nutzt.

Eine Trauerfeier, ein Staatsakt zumal, ist genau die Situation, an der sich die Richtigkeit dieser Unterscheidung beweist. Die Rede von Weizsäckers in der Kölner Moschee ist nicht deshalb wichtig, weil wir ihm glauben, daß er meint, was er sagt: Es genügt ja schon, daß er nicht unglaubwürdig ist, wenn er sein Beileid ausspricht. Die Abwesenheit von Kohl wiederum ist ein Fiasko, weil ausgerechnet er, der Politiker schlechthin, seine Rolle verkennt: Niemand erwartet mehr von ihm – der seine ausdruckslose Unerschütterlichkeit hinlänglich unter Beweis gestellt hat – daß ihm der fünffache politische Mord in Solingen persönlich nahe geht. Es wäre nur angemessen gewesen, er hätte zwischen von Weizsäcker und Süßmuth gestanden und das übliche Gesicht gemacht.

Es gibt eine Trauergeste in der Geschichte der Bundesrepublik, in der Repräsentation und Authentizität sich trafen: der Kniefall Brandts in Warschau. Bei allen anderen Anlässen dieser Art kann man nur froh sein, wenn es, wie diesmal, abgeht ohne Peinlichkeit. Daß es vom Erhabenen zum Entsetzlichen nur ein kleiner Schritt ist, hat Phillipp Jenninger im Deutschen Bundestag bewiesen; in Situationen wie dieser findet sich sogar die dem Staate fernste Linke plötzlich in einer merkwürdigen Loyalität mit den Repräsentanten wieder und bittet inständig und stumm, daß es noch einmal gutgehen möge.

Es ist der nichtstalinistischen Linken bisher nicht gelungen, ihre Kritik an den bürgerlichen Formen von Festlichkeit und Trauer durch alternative Repräsentation zu ersetzen. Nach Sennets Theorie überrascht das nicht: hat doch gerade die Linke den Anspruch auf Authentizität seit den sechziger Jahren wieder stark gemacht und auf szenische, undogmatische, dramatische Formen politischer Aktion gesetzt, um den Panzer bürgerlicher Politik zu zerschlagen (oder als hohl kenntlich zu machen). Repräsentation mit Authentizität ist aber kontingent, ein Glücksfall, sie läßt sich nicht fordern und planen, sie geschieht: wie beim Einzug der Grünen in den Bundestag, wie bei manchen Reden von Petra Kelly. Das Abstoßende und Überraschende an der Vogel-Formulierung seines Herrn (zu Mölln) vom „Beileidstourismus“ lag gerade darin, daß Kohl sich mit der Weigerung, seiner Rolle gemäß zu handeln, indirekt auf die Forderung nach Authentizität bezieht: Nur ist diese Referenz nicht (selbst-) kritisch, sondern obszön, ein dünnes rhetorisches Furnier auf stupider Empfindungslosigkeit.

Es gibt ein Unglück, das für Trost ganz unerreichbar macht. Die Angehörigen und Freunde der Opfer von Solingen sind vermutlich derart unglücklich. Aber die Kölner Zeremonie war ja auch weniger ein (vermessener) Versuch der Tröstung als ein politischer Akt: eine Re-präsentation. Elke Schmitter

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